Frage an Dietrich Herrmann von Lotta F. bezüglich Familie
Sehr geehrter Herr Dr. Herrmann,
haben Sie Vorschläge für Erleichterungen von Alleinerziehenden, sei es steuerlich oder anderswie?
Desweiteren: a) Wie stehen Sie persönlich zum Bildungssystem (Dreigliedrigkeit? Ländersache? ) ? b) Was schlagen Sie vor, um die Lehrerausbildung an heutige Anforderungen anzupassen?
Vielen Dank!
Sehr geehrte Frau Fröhlich,
zu Ihren Fragen:
Erleichterungen für Alleinerziehende:
Nun, wahrlich ein weites Feld. Nach meiner Kenntnis - ich bitte Sie, mich da gegebenenfalls zu korrigieren - sind die Problemlagen für Alleinerziehende sehr unterschiedlich, dementsprechend sind auch die Möglichkeiten zur Problemlösung vielfältig. Ich kann hier zunächst nur einige der aus meiner Kenntnis häufigsten Problemlagen ansprechen. Bitte fragen Sie nach, wenn Sie in einer bestimmten Richtung vertiefende Auskünfte wünschen.
Eine ganz klare Sache ist - womöglich haben Sie das mit der Formulierung Ihrer Frage schon andeuten wollen - die Finanzielle: Nach meiner Überzeugung ist "Familie" dort, wo Menschen unterschiedlicher Generationen zusammenleben und ein Teil davon der Fürsorge anderer bedarf (das gilt nach meiner Überzeugung auch für die Betreuung u. Pflege etwa von Eltern). Das reine Ehegattensplitting ist ein Auslaufmodell, d.h. die steuerliche Bevorzugung von Ehen ohne Kindern (oder schon erwachsenen Kindern) gehört abgeschafft und somit die Benachteiligung von Alleinerziehenden aufgehoben.
Ich weiß, dass damit noch keineswegs die finanziellen Probleme von Alleinerziehenden bewältigt sind, aber es sei der allgemeine Hinweis erlaubt, dass meine Partei für die Anhebung der Hartz-IV-Sätze auf zunächst 420 Euro eintritt. Zudem, das könnte auch relevant sein, treten wir für eine eigenständige Kinder-Grundsicherung ein.
Eine dauerhafte Herausforderung ist die Kinderbetreuung. Primär ist dies Aufgabe der Städte und Gemeinden. Die bündnisgrüne Stadtratsfraktion in Dresden kämpft seit Jahren um einen Ausbau von Plätzen, um Kita-Sanierungen und um Erhöhung der Qualität der Betreuungsangebote. Nur mühsam lassen sich die konservativen Fraktionen in der Mehrheit des Stadtrats von der Notwendigkeit zusätzlicher Kita-Plätze überzeugen - wir sind in Dresden stark im Hintertreffen; die Verantwortung dafür, dass gegenwärtig in vielen Dresdner Stadtteilen Kita- und vor allem Krippenplätze fehlen, trägt die Stadtratsmehrheit und die Oberbürgermeisterin - die Grünen im Stadtrat sind in der Minderheit, und der öffentliche Druck war bisher noch nicht stark genug, um bei den Mehrheitsfraktionen eine Prioritätenverlagerung von Investitionen in Asphalt hinzu Investitionen in Menschen zu erreichen.
Auf Landesebene das gleiche Problem: Die CDU-Staatsregierung blockiert eine Besserstellung der Kita-Erzieherinnen und eine Verringerung des Betreuungsschlüssels.
Auf Bundes- und Länderebene halte ich eine Schwerpunktverlagerung für sinnvoll: Anstatt ein beitragsfreies Vorschuljahr zu finanzieren, sollte lieber zuerst ein bedarfsgerechtes Angebot an Krippenplätzen geschaffen werden - das nützt den Kindern und ihren Familien mehr.
Für viele Alleinerziehende ist auch die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit/Ausbildung/Studium mit der Betreuung des bzw. der Kinder oft schwierig. An diesen Nahtstellen zeigt sich oft, wie gut die Lage der Kinderbetreuung in einer Stadt ist. Die Integration in den Arbeitsmarkt und der Abschluss von Ausbildung oder Studium ist aber wichtig, nicht nur weil der Gesellschaft andernfalls gute Arbeitskräfte fehlen, sondern weil den Alleinerziehende womöglich soziale Isolation droht.
Bildungssystem:
(Sie haben Verständnis, dass ich das in diesem Rahmen nicht erschöpfend beantworten kann)
a) Wenn die oft versprochene Durchlässigkeit zwischen den Schularten gegeben wäre, wenn die Hauptschulen oder Mittelschulen nicht oft schon von vorneherein zum Abstellgleis wäre, wäre das ja noch anders. Aber dies ist in der Gegenwart definitiv nicht gegeben (wenn es das jemals war): Also: Längeres gemeinsames Lernen ist sinnvoll, das gibt Spätstartern auch eine bessere Chance, ermöglicht Kindern aus bildungsfernen Schichten eher einen Zugang. Eine individuelle Förderung der Kinder ist vor allem deshalb wichtig, weil nicht jedes Kind in jeder Phase sich gleich schnell entwickelt.
b) Föderalismus:
Als jemand, der sich vor längerer Zeit mal intensiv mit dem (stark zentralisierten) französischen Bildungssystem beschäftigt hat, bin ich skeptisch, ob uns eine Zentralisierung wirklich so viel weiterbringt. Klar muss sein, dass die Bundesländer gewisse Rahmen vereinbaren, was in unserer hochmobilen und -flexiblen Gesellschaft auch den Schulwechsel über Ländergrenzen hinweg möglich lässt.
Wichtig ist doch, dass Bildung überhaupt einen höheren Stellenwert erhält: Nach wie vor zählen Ausgaben für Bildung in den Haushaltsplänen als "Konsum", Ausgaben für den Bau neuer Straßen oder Spaßbäder, über deren Nutzen man sich oft streiten kann und die in der Unterhaltung viel, viel Geld kosten, als "Investition". Verkehrte Welt!
Die größere Wertschätzung der Gesellschaft für Bild muss sich nicht zuletzt in mehr Geld für Bildung auswirken: Kleinere Klassen, sanierte Schulen (und Kitas), etwas besser bezahlte LehrerInnen (und ErzieherInnen), usw.
c) Lehrerausbildung
(Oh, ganz weites Feld ...)
Das fällt jedenfalls gegenwärtig auch in die Kompetenz der Länder (würde ich auch nicht zwingend zum Bund überführen wollen), dennoch (im Folgenden Konzentration auf Sachsen): Jedes vernünftige Unternehmen hat eine Personalabteilung und versucht dort, gute Leute für das Unternehmen zu rekrutieren bzw. Nachwuchsleute aufzubauen. In Sachsen gibt es zwar viele, engagierte Lehrerinnen und Lehrer, aber nicht wegen, sondern eher trotz dieser Behörde, die früher Regionalschulamt hieß und jetzt Bildungsagentur heißt. Viele sehr engagierte junge Lehrerinnen und Lehrer werden aber aus Sachsen regelrecht verscheucht, nicht selten sogar Jahrgangsbeste, nur weil gerade die Fachkombination offiziell nicht gefragt erscheint. Statt der SBA mit nicht wenigen fachlich wie menschlich völlig überforderten Mitarbeitern gehört eine ordentliche Personalstelle mit engagierten Personalern eingerichtet, die schon während des Fach-Studiums mit den potenziellen KandidatInnen den Kontakt hält und so versucht, die besten Leute für die Schulen zu binden, zugleich aber frühzeitig und berechenbar dann Aussagen macht, wenn es nicht genügend Stellen gibt. Dass es gegenwärtig allerdings einen größeren Bedarf an Junglehrerinnen und Junglehrern gibt, weiß neben Ihnen und mir der ganze Freistaat; nur das Kultusministerium und die SBAs wollen das noch nicht wissen. Um eine gute Referendars-Ausbildung zu gewährleisten, müssten erfahrene Lehrer-Dozenten aus der Praxis mit entsprechenden Anreizen über mehrere Jahre an die Ausbildungsstellen gebunden werden; das ständige Hin und Her zwischen kleinen und großen Referendarsjahrgängen lässt eine hochqualitative und engagierte Arbeit kaum zu. Eine engere Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Einrichtungen der Fächer und der Fachdidaktiken auch über Sachsen hinaus ist unbedingt erforderlich. Reformpädagogische Ansätze sollten in der Ausbildung stärkeres Gewicht bekommen.
Es gäbe da noch vieles zu sagen - bitte fragen Sie einfach nach, wenn Ihnen an der einen oder anderen Stelle noch etwas gefehlt hat, aber auch, wenn Sie andere Erfahrungen gemacht haben. Informieren Sie sich auch über die Programme meiner Partei http://www.gruene.de und über meine Positionen auf meiner Homepage http://www.dietrichherrmann.de .
Besten Dank für Ihr Interesse,
Ihr
Dietrich Herrmann