Frage an Dietrich Herrmann von Felix S. bezüglich Innere Sicherheit
Sehr geehrte Herr Dr. Herrmann,
eigentlich habe ich zwei Fragen: Die erste lautet, wie Sie zum Thema Rechtsradikalismus in Deutschland stehen. Die zweite: Immer weniger Wehrpflichtige eines Jahrganges werden zum Wehrdienst herangezogen, während weiterhin alle Kriegsdienstverweigerer zum Zivildienst herangezogen werden. Das Auswahlverfahren, welche Wehrpflichtige zum Wehrdienst herangezogen werden, ist nicht transparent genug, um den Vorwurf der Willkür zu widerlegen. Wie stehen Sie zu dieser Ungerechtigkeit und der Wehrpflicht allgemein?
Mit freundlichen Grüßen, Felix Stoof
Sehr geehrter Herr Stoof,
a) Rechtsradikalismus
(Bitte um Verständnis, dass die Antwort an dieser Stelle nicht ALL-umfassend sein kann) Rechtsextremismus ist bei weitem kein reines NPD-Problem. Deshalb ist für mich die Frage eines NPD-Verbots nachrangig. Ein NPD-Verbot würde die vielen freien Rechtsextremisten eher noch bestärken. Es geht darum, rechtsextremistisches Gedankengut aus den Köpfen der Menschen zu vertreiben, es geht darum, dass wir in unseren Städten und Gemeinden, in den Nachbarschaften, im Bekanntenkreis nicht länger gleichgültig oder teilnahmslos gegenüber stehen oder zusehen, es geht um die Ächtung rechtsextremistischer Verhaltensmuster. Parallel geht es um die positive Entwicklung demokratischer politischer und gesellschaftliche Kultur, die Freude an der Vielfalt unserer kulturellen, ethnischen und religiösen Traditionen, das Erlernen von Respekt für "das Andere", die Achtung und der Schutz von Minderheiten und marginalisierten Personen und Personengruppen.
Der Staat alleine kann Projekte zur Demokratieentwicklung fördern - aber die Bürger müssen das selbst in die Hand nehmen. Der Staat kann aber Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund klarer verfolgen - hier gibt es noch Defizite -, und staatliche Repräsentanten müssten sich auch selbst den Nazis in den Weg stellen (Wo ist Herr Tillich am 13. Februar?) Ich bin besonders der grünen Landtagsfraktion in Sachsen sehr dankbar, dass sie in den letzten Jahren in Kooperation mit einer Vielzahl von bürgerschaftlichen Initiativen im Land einiges an Bewusstseinsbildung voran gebracht hat, aber es ist da zweifellos noch eine Menge zu tun - wir würden uns auch wünschen, unsere demokratische politische Konkurrenz würde sich da aktiver beteiligen. Es reicht nicht, sich - daheim auf dem Sofa sitzend - über Glatzen zu echauffieren, man muss auch bereit sein, den Rechtsextremisten entgegen zu treten - beispielsweise am 13. Februar in Dresden.
Ich möchte Sie einladen, wenn Sie nicht ohnehin schon in diesem Bereich aktiv sind, sich auch persönlich einzubringen. Denken Sie in Dresden etwa an die Initiative Bürger.Courage oder andere Infos etwa über das Netzwerk www.tolerantes-sachsen.de . Wir als Politiker sind bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus ohne die Mitwirkung der Bürger aufgeschmissen.
b) Kriegsdienstverweigerung/Wehrpflicht/Zivildienst
Die Wehrpflicht ist mittlerweile zu einem Anachronismus geworden; wer dann tatsächlich zur Dienstleistung herangezogen wird, erscheint oft willkürlich. Hier ist dringender Handlungsbedarf - ich halte den gegenwärtigen Zustand für grob verfassungswidrig und bedaure, dass das Verfassungsgericht bisher nicht den Mut aufgebracht hat, entsprechende Verfassungsbeschwerden und Richtervorlagen aufzugreifen. - für die gegenwärtigen Aufgaben der Bundeswehr spielen die Wehrpflichtigen gerade bei den Auslandseinsätzen angesichts der kurzen Dienstzeiten nur eine untergeordnete Rolle. Deshalb würde eine Abschaffung der Wehrpflicht die Bundeswehr nicht vor unlösbare PRAKTISCHE Probleme stellen. - Die Abschaffung der Idee Wehrpflichtigen-Armee (hat in der Praxis freilich kaum noch eine Bedeutung) ist schon ein Einschnitt: Die Idee war ja die des "Staatsbürgers in Uniform", d.h. auch einer Armee, die über die Wehrpflicht (die - theoretisch - jeder leisten muss) in der Gesellschaft verankert ist und somit eher vor der Gefahr gefeit ist, - etwa wie in der Weimarer Republik - ein (undemokratisches, republikfeindliches) Eigenleben zu führen. Diese Überlegung tritt jedoch inzwischen in den Hintergrund. Ich glaube (und hoffe), die benannten Gefahren haben sich historisch erledigt. - Prinzipiell hat eine zeitlich befristete Dienstleistung des Einzelnen für die Gemeinschaft, für soziale Zwecke für mich schon einen hohen Charme. Ich denke noch gerne an die Zeit meines Zivildienstes (um den ich mich mit etwas Aufwand auch hätte drücken können), weil sie neben den (hoffentlich nützlichen) Dingen, die ich als Zivi in der Individuellen Schwerstbehindertenbetreuung beigetragen habe, mir auch einiges an Lebensorientierung mitgegeben hat.
- Das Zögern der Politik, den gegenwärtigen Zustand zu korrigieren, hängt u.a. mit der als unverzichtbar erscheinenden Rolle der Zivis. Was würde unser Sozialsystem, Behindertenbetreuung, Pflege usw. ohne die Zivis machen? Dabei ist doch klar, dass die Zivis - trotz des unermüdlichen Einsatzes, den die allermeisten leisten - letztlich nur dazu beitragen, das marode System von Behindertenbetreuung und Pflege nur mühsam vor dem Zusammenbruch zu retten.
Soviel der Vorrede - konkret bin ich wie meine Partei für die Abschaffung der Wehrpflicht und der Ermöglichung von vielfältigen sozialen, ökologischen, kulturellen Freiwilligendiensten für junge Männer UND Frauen, wobei Fragen des Versicherungsrechts (z.B. Altersvorsorge) noch besserer Lösungen bedürfen.
Für weitere Fragen zu diesen oder anderen Themenkomplexen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Besten Dank für Ihr Interesse!
Herzliche Grüße,
Ihr
Dietrich Herrmann