Frage an Dietlind Tiemann von Wolfgang P. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Tiemann,
bitte schreiben Sie mir, ob Sie für Dublin IV sind und wenn nein, was Sie dagegen unternehmen.
Danke und freundliche Grüße
W. P.
Sehr geehrter Herr Prasser,
vielen Dank für Ihre Frage zu meiner Einschätzung einer weiteren Reform des Dublin-Abkommens.
Spätestens durch die Auswirkungen der stark gestiegenen Migrationsströme im Jahr 2015 ist uns klar, dass die bisherige Dublin-III-Verordnung an ihre Grenzen gestoßen ist. Dementsprechend setzen sich die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, die Bundesregierung und die EVP-Fraktion im Europäischen Parlament für eine Weiterentwicklung der Verordnung ein. Bislang konnten sich die Mitgliedstaaten nicht auf eine Reform der Regelungen einigen, sodass eine möglicherweise Dublin-IV-Verordnung genannte Regelung derzeit nicht existiert. Die Europäische Kommission und das Europäische Parlament haben jeweils Vorschläge zur Weiterentwicklung der Dublin-Verordnung eingebracht. Der Vorschlag der Kommission sieht vor, einen sog. Fairness-Mechanismus für die Zuteilung von Asylbewerbern in die Praxis umzusetzen. Hiernach wird automatisch festgestellt, wenn das Asylbewerberaufkommen in einzelnen Ländern unverhältnismäßige Ausmaße annimmt. Steigt das Asylbewerberaufkommen über einen Schwellenwert, werden alle weiteren neuen Asylbewerber auf die übrigen EU-Mitgliedstaaten verteilt. Ein Mitgliedstaat hat auch die Möglichkeit, vorübergehend nicht an dem Umverteilungsmechanismus teilzunehmen. In diesem Fall zahlt er einen Solidarbeitrag. Daneben werden Neuansiedlungen berücksichtigt: Der Fairnessmechanismus berücksichtigt das Engagement jener Mitgliedstaaten, die sich an der unmittelbaren Neuansiedlung von Schutzbedürftigen aus Drittländern beteiligen. Damit wird die Bedeutung der Bemühungen um die Schaffung legaler und sicherer Wege nach Europa anerkannt.
Zusätzlich sollen die Fristen für die Stellung und Beantwortung von Umverteilungsersuchen und die Durchführung der Umverteilung von Asylbewerbern zwischen den Mitgliedstaaten verkürzt und Zuständigkeitsübertragungen aufgehoben werden.
Weiterhin sollen die Rechtpflichten der Asylbewerber wie die Pflicht zum Verbleib in dem für ihren Antrag zuständigen Mitgliedstaat, räumliche Beschränkung für den Erhalt materieller Leistungen und angemessene Konsequenzen bei Zuwiderhandlungen klarer formuliert werden. Letztlich sollen auch die Interessen der Asylbewerber, wie bessere Garantien für unbegleitete Minderjährige und eine ausgewogene Erweiterung des Begriffs der Familienangehörigen, gestärkt werden.
Die Empfehlung des Europäischen Parlaments sieht vor, dass Flüchtlinge in Zukunft im Land ihrer Ankunft registriert und überprüft werden. Gibt es bereits eine Beziehung zu einem EU-Land, zum Beispiel Verwandte, dann erhalten sie ein Asylverfahren in diesem Land. Im Zweifel soll danach verteilt werden, welches Land bisher wenige Flüchtlinge aufgenommen hat. Eine Rücküberstellung an das Land seiner Ankunft findet somit nicht mehr statt.
Zusätzlich sollen weitere Vorkehrungen zum Schutz vor Missbrauch des Systems und einer Überbelastung einzelner Länder verankert werden. Sollten sich Mitgliedstaaten grundsätzlich weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, werden im Gegenzug EU-Mittel gestrichen.
Beide Vorschläge sehen letztlich eine verpflichtende Aufnahme von Asylbewerbern für jedes EU-Land vor. Dies ist zeitgleich der neuralgische Punkt in den Verhandlungen der Mitgliedstaaten.
Für die CDU/CSU-Fraktion sowie die Bundesregierung ist klar, dass eine Bewältigung der hohen Asylbewerberzahlen nur durch innereuropäische Solidarität bewerkstelligt werden kann. Eine Entlastung der Staaten an den EU-Außengrenzen ist daher unser oberstes Gebot. Zeitgleich bedeutet europäische Solidarität nicht ausschließlich die Aufnahme von Asylbewerbern. Für uns äußert sich diese Solidarität auch in der Übernahme von Kosten für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen oder auch ein Beitrag zur Sicherung der EU-Außengrenzen.
Mit diesem Ansatz hat es die Bundesregierung geschafft, weitestgehend Einigkeit unter den Mitgliedstaaten bei den notwendigen Rechtsakten zur gemeinsamen Asylpolitik zu erzielen. Davon zeugt auch die gemeinsame Erklärung des Europäischen Rates anlässlich des Gipfels in Hermannstadt am 9. Mai 2019. Ich danke Ihnen für Ihre Zuschrift und hoffe, dass ich Ihre Frage zur vollsten Zufriedenheit beantwortet habe.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Dietlind Tiemann MdB