Frage an Detlef Dzembritzki von Sven K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dzembritzki,
seit 1949 ist unser Land ein freiheitlich demokratischer Rechtsstaat. Jedermann kann frei wählen und auch mal seine eigene Meinung vertreten.
Doch ich muß ganz ehrlich zugeben, daß ich mein Vertrauen in diese Form der Demokratie immer mehr und mehr verliere, weil ich das Gefühl nicht loswerde, daß der Bürger zwar wählen darf, aber sonst konsequent von Politikern aller Fraktionen gnadenlos übergangen wird.
Es heisst "Alle Macht geht vom Volk aus", aber wenn ich nur alle vier Jahre einmal eine Stimme abgeben darf und den Rest der Legislaturperiode mitansehen muß wie Politiker in Skandale (Meist ohne Konsequenzen) verwickelt werden, Beschlüsse machen, obwohl die Mehrheit des Volkes eigentlich dagegen ist (Aktuelle Beispiel das Gesetz zum Schutze der Nichtraucher) und sich auch sonst in jener Zeit eher Volksfern, als nah geben.
Ich würde es eher begrüssen, wenn man sich öfters an das Volk wenden würde. Es müssten mehr Volksentscheidungen in Form von Wahlen stattfinden, was aber leider nicht der Fall ist.
1996 gab es schon einmal einen Volksentscheid, als es um die Länderehe Berlin & Brandenburg ging und seitdem diese Ehe schon im Vorfeld abgelehnt wurde, werde ichd as Gefühl nicht los, daß man in Zukunft auf solche Entscheidungen lieber ganz verzichtet.
Ich hingegen würde mehrere Volksentscheide immer unterstützen, denn damit käme man auch dem Satz, "Alle Macht geht vom Volke aus" gerecht. In meinen Augen wäre es dann auch echte, gelebte Demokratie. Und vor allen Dingen wären auch die Politiker mehr gefordert, sich den Aufgaben des Volkes zu stellen und sich nicht immer in der Wahlkampfphase volksnah zu zeigen.
Mittlerweile gehöre ich zu jener Riege der Politikverdrossenen, weil mich mittlerweile alle grossen Volksparteien enttäuscht haben.
Wie stehen Sie zu mehr Volksentscheiden?
Mit freundlichem Gruß
Sven Kernn
Sehr geehrter Herr Kernn,
ich danke Ihnen für die Frage und beantworte sie gerne. Die Bundesrepublik Deutschland ist eine repräsentative Demokratie, der ein hoher Wert zukommt. Sie gilt es zu stärken und schützen. Die im Grundgesetz verankerten Regeln haben sich nach vielen Jahren als solides und demokratiefähiges Instrument in der deutschen Parlamentsgeschichte bewährt.
Daneben können die Bundesländer in ihren Landesverfassungen eigene, direkt demokratische Instrumentarien festlegen. Das liegt in ihrem Ermessensspielraum. Der Berliner Senat hat bei der letzten Abgeordnetenhauswahl im Jahr 2006 und auf Betreiben der Berliner SPD die Bürgerinnen und Bürger direkt darüber abstimmen lassen und die Zustimmung war überwältigend. Das ist ein Erfolg sozialdemokratischer Politik und eine klare Stärkung direkt demokratischen Einflusses auf Kommunal- und Landesebene.
Seither hat es verschiedene Bemühungen gegeben, Bürgerbegehren und Volksentscheide herbeizuführen. Hier möchte ich exemplarisch die Volksentscheide zum Flughafen Tempelhof und zur Initiative „Pro Ethik“ nennen. Beide sind aufgrund des fehlenden Erreichens des nötigen Quorums von 25% gescheitert. Auf kommunaler Ebene hatte die Initiative „Media Spree versenken“ dagegen Erfolg. Unabhängig davon, wie man dazu stehen mag, zeigt dies, dass direkte Einflussnahme möglich ist.
Ich meine, dass diese Einflussmöglichkeiten auf Kommunal- und Landesebene begrenzt bleiben sollten. Zum Einen, weil die Bundesrepublik Deutschland auf Bundesebene bisher gute Erfahrungen mit dem bewährten System gemacht hat und uns die Erfahrungen der deutschen Geschichte insbesondere der Weimarer Zeit lehren, dass wir sehr behutsam mit direkt demokratische Verfahren sein sollten (das gilt zum Beispiel insbesondere für die Direktwahl des Bundespräsidenten), und zum Anderen weil ein direkt demokratisches Abstimmungsverfahren – wie beispielsweise in der Schweiz üblich – nicht eins zu eins auf bundesdeutsche Verhältnisse übertragen und angewendet werden kann.
Welche Rückschlüsse sich letztendlich aus den Erfahrungen direkt demokratischer Verfahrensweisen in den Bundesländern ergeben, wird die Zukunft zeigen. Zum jetzigen Zeitpunkt wäre es sicherlich verfrüht, Schlussfolgerungen zu ziehen, die eine Stärkung direkter Demokratie auch auf Bundesebene vorsehen würden.
Mit freundlichen Grüßen
Detlef Dzembritzki