Dennis Melerski
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Harald S. •

Frage an Dennis Melerski von Harald S. bezüglich Verkehr

Moin, Moin, sehr geehrter Herr Melerski!

Wir alle wissen, dass in den letzten 40 Jahren im Bereich ÖPNV (von Ausnahmen abgesehen) die Maxime der Politik Maximierung des verbauten Betrages bei Minimierung des Verkehrsnutzens für die Nutzer (wohl aber Mehrung des Nutzens für den MIV - Motorisierten Individual-Verkehr) war.

Je allgemeiner man sich in der Politik erkundigt, desto wohlklingender sind auch in diesem Punkt die Antworten. Ich hätte gerne von Ihnen gewusst, welche Strukturveränderungen Ihnen für Gelsenkirchen vorschweben, um den Modal Split in Richtung einer ökologischen Vorzeigestadt zu verändern.
Neue Strab-Linien? Busspuren? Citymaut? Horrende Parkgebühren? Flächendeckendes Tempo 30, auch für den ÖPNV? Oder mehr S-Bahnen (auf bestehenden und neuen Linien)? Rundumanschlüsse (und nicht selektive) in der Schwachlastzeit?

Oder haben Sie da keine konkreten Vorstellungen, weil sie mit Ihrem Dienstwagen jederzeit überall hin komen?

Mit freundlichen Grüßen

Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Schweda,

vielen Dank für Ihre Frage. Das Transportaufkommen auf umweltverträgliche Verkehrsmittel zu verlagern, ist aus meiner Sicht die große verkehrspolitische Aufgabe und es wird tatsächlich zu wenig daran gearbeitet. Einige Entwicklungen laufen dem sogar entgegen. Gerade durch den motorisierten Individualverkehr entstehen zahlreiche Belastungen für Mensch und Umwelt, die vermieden werden könnten.

Um vielleicht eines vorweg zu nehmen: Einen Dienstwagen, mit dem ich überall hinkomme, besitze ich nicht. Dafür bin ich aber Bezieher eines VRR - Monatstickets, wodurch ich die Schwachstellen des ÖPNV oft genug erleben darf.
Man darf im Gesamtblick Gelsenkirchen bei dieser Frage natürlich nicht als Insel betrachten, sondern muss immer auch die Anbindungen an andere Städte berücksichtigen (zumindest dann, wenn man sich als „Metropole Ruhrgebiet“ verstehen möchte). So bringt beispielsweise ein Kombi-Ticket des Musiktheaters im Einzelfall recht wenig, wenn z.B. die Anbindung an die Nachbarstädte nicht optimal ist.

Wesentliche Elemente um die Situation in Gelsenkirchen zu verbessern sind für mich der Ausbau des ÖPNV (Strecken, Taktdichte, Anschlüsse, etc.) und eine deutliche Verbesserung des Radwegenetzes. Aber auch Konzepte wie Car-Sharing oder die sinnvolle Verbindung von Verkehrsmitteln (Bsp. Metro Rad Ruhr) dürfen in einem Gesamtkonzept nicht fehlen.

Als verkehrspolitischer Sprecher der GRÜNEN-Ratsfraktion ist es mir schon lange ein großes Anliegen, dem ÖPNV den Stellenwert zu geben, den er verdient. Beispielsweise zeigen die ÖPNV-Fahrgastzahlen in Gelsenkirchen seit dem Jahr 2000 einen Zuwachs von rund 30 %. und das, obwohl die Zahl der EinwohnerInnen dabei kontinuierlich gesunken ist. Der motorisierte Individualverkehr nimmt dagegen seit Jahren leicht ab, also gibt es erstmal eine erfreuliche Entwicklung. Abgesehen vom damaligen positiven Effekt durch die Einführung des Schokotickets scheint mir dies aber weniger auf den tollen Zustand des ÖPNV zurückzuführen zu sein, sondern mehr auf die Not vieler Menschen, die darauf angewiesen sind.
Aber mit einer solchen Entwicklung im Hinterkopf müsste man meinen, dass in der Gelsenkirchener Verkehrspolitik der ÖPNV an erster Stelle steht und ausgebaut wird. Tatsächlich werden die bestehenden Strukturen bestenfalls erhalten oder „optimiert“, wobei sich hinter dem netten Wort „Optimierung“ tatsächlich eine Kürzung des Angebots verbirgt. Und die Zukunft wichtiger Bahnangebote (Bsp. Emschertalbahn) ist nicht gesichert.

Zu viele Verkehrsbetriebe, ein undurchsichtiger Tarifdschungel, überhöhte, ständig steigende Ticketpreise und ein unausgereiftes Liniennetz machen den ÖPNV vielerorts und auch in Gelsenkirchen nicht gerade attraktiv. Dazu kommen oft noch Verspätungen und überfüllte Busse und Bahnen.

In Gelsenkirchen müsste strukturell z.B. die Anbindung des S-Bahnhofs Buer-Nord deutlich verbessert werden. Zum Einen durch eine direkte Verbindung zur Fachhochschule. Zum Anderen durch eine Verlängerung der Straßenbahnlinie 302 bis zum S-Bahnhof. Dazu haben wir GRÜNE in den derzeit stattfindenden Haushaltsberatungen den Antrag gestellt, Planungskosten für eine solche Verlängerung einzustellen. Perspektivisch würde ich mir eine Führung der Linie 302 bis nach Hassel vorstellen, wie sie es vor vielen Jahrzehnten schon gegeben hat, da gerade dieser Stadtteil seit dem damaligen Rückbau nicht mehr ordentlich an den ÖPNV angebunden ist.

Sie merken aber schon, dass alle konkreten strukturellen Veränderungen, die in Gelsenkirchen notwendig sind, um den Modal-Split in Richtung einer ökologischen Vorzeigestadt zu verändern, hier den Rahmen einer Antwort deutlich sprengen würden.Deswegen nochmal allgemein einige Anmerkungen:
Ein bedeutendes Element für die Attraktivität eines großstadtadäquaten ÖPNV ist die Taktdichte. Stündliche Busverbindungen unter der Woche werden neue Nutzer nicht in Scharen anlocken. Und wer am Wochenende mit der Straßenbahn im Halbstundentakt unterwegs ist weiß, wie voll es auch zu Schwachverkehrszeiten oft ist. Im ÖPNV gilt für mich der Grundsatz: Das Angebot schafft die Nachfrage.
Das man unter der Woche weder mit der Linie 301 noch mit der Linie 302 nach Mitternacht zwischen den beiden Stadtzentren verkehren kann, ist in diesem Zusammenhang für mich völlig unverständlich. Wenigstens ein 1-Stunden-Takt sollte vorgehalten werden.

Die angesprochenen Probleme kann die Stadt Gelsenkirchen nicht alleine lösen, sondern hier ist die Hilfe von Bund und Land entscheidend. Beim Blick auf NRW stellt man fest, dass es allerhand Verkehrskonzepte gibt, z.B. ein Luftverkehrskonzept oder einen Landesstraßenausbauplan. Aber lediglich in der integrierten Gesamtverkehrsplanung finden Busse und Bahnen überhaupt Erwähnung.
Deshalb hat die GRÜNE Landtagsfraktion in der noch laufenden Legislaturperiode einen Antrag eingebracht, der die Landesregierung auffordert, ein Zukunftskonzept für Busse und Bahnen für NRW vorzulegen. Außerdem fordert der GRÜNE Antrag die Kürzung der Regionalisierungsmittel durch den Bund ebenso wie die Kürzung der Mittel für die Schülerbeförderung durch die schwarz-gelbe Landesregierung rückgängig zu machen. Falls Sie Interesse am vollständigen Antrag haben, finden Sie ihn unter der Drucksache 14/10016.

Es wird auch in Zukunft ein Bedarf an motorisiertem Individualverkehr bleiben. Aber der Stellenwert des Autos sollte sich aber deutlich verändern. Das heißt, dass das sinnvolle Kombinieren der Verkehrsmitteln deutlich in den Vordergrund rücken und das Umsteigen auf verträgliche Verkehrsformen so einfach wie möglich gemacht werden muss. Denn in erster Linie geht es um eine Veränderung des Verkehrssystems und nicht um eine Optimierung der Technik.

Ich hoffe Ihnen in der halbwegs gebotenen Kürze Ihre Frage dennoch ausreichend beantwortet zu haben und sende Ihnen viele Grüße,

Dennis Melerski