Frage an David Perteck von Luis Alberto Fernández V. bezüglich Verbraucherschutz
Sehr geehrter Herr Perteck,
nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 03.07.08 ist das "negative Stimmgewicht" verfassungswidrig. Dennoch will der Bundestag das geltende Wahlrecht vor der nächsten Bundestagswahl am 27.09.09 nicht ändern (vgl. http://www.wahlrecht.de/news/2009/09.htm ). Das tat er in seiner 231. Plenarsitzung am 03.07.2009.
Heißt es dann, daß aufgrund dieser parlamentarischen Weigerung, sich nach dem Recht zu richten, die kommende Bundestagswahl allein aus diesem Grund anfechtbar ist?
Der Präsident des Bundestages verhielt sich zu dieser Frage „neutral“ bzw. „nicht parrteiergreifend“, indem er den Antrag der Grünen auf verfassungsfreundlichere Wahlrechtsänderung unter BT-Drs. 16/11885 weder mit Ja noch Nein gestimmt hat (vgl. BT-Drs. 16/231, Plenarprotokoll vom 03.07.09, S. 26166 D), während Bundeskanzlerin Merkel an der Abstimmung im Plenum nicht teilgenommen hat.
Ein Jahr zuvor hat das Bundesverfassungsgericht das geltende Wahlrecht für nicht rechtens erklärt, und genau ein Jahr später lehnte der Bundestag das verfassungskonformere Wahlrecht zur Bundestagswahl mit über 2/3-Mehrheit entschieden ab. Dieses Verhalten ist für mich kaum nachvollziehbar. Fühlen sich die Abgeordneten an die verfassungsmäßige Ordnung überhaupt gebunden? Denn ich hätte es mir eher gewünscht, daß die Abgeordneten in ihrer überwiegenden Mehrheit die Verfassung und ihre Ordnung nicht so radikal und fundamental in Frage stellen würden. Ich verstehe diese Politiker nicht.
Für eine qualifizierte Antwort meiner Frage wäre ich Ihnen sehr verbunden.
Mit freundlichen Grüßen
Luis Fernández Vidaud
Sehr geehrter Herr Vidaud,
vielen Dank für diese interessante wahlrechtliche Frage. Ich stimme Ihnen im Prinzip voll und ganz zu. Das Wahlrecht hätte bereits vor der anstehenden Bundestagswahl geändert werden sollen, um das verfassungswidrige "negative Stimmgewicht" abzubauen und die Verfassungsgemäßheit des Wahlrechtes und der Bundestagswahl herzustellen. Immerhin wäre dafür zumindest seit der ersten Entscheidung ein ganzes Jahr Zeit gewesen, wenn auch das jüngere Urteil des Bundesverfassungsgerichts relativ kurzfristig vor der Bundestagswahl 2009 erfolgte.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil meines Wissens allerdings aus "pragmatischen Gründen" selbst die Möglichkeit eingeräumt, dass die kommende Bundestagswahl noch nach altem Recht stattfinden könne, und eine Wahlrechtsänderung für künftige Wahlen vorgeschrieben. Deshalb dürften eigentlich berechtigte Anfechtungen der Wahl, wie übrigens auch wegen der Nichtzulassung diverser Parteien durch den Bundeswahlausschuss, voraussichtlich wie gewohnt zum Scheitern verurteilt sein.
Eine 2/3-Mehrheit des Bundestages hat beschlossen, diesmal nach altem Recht zu verfahren und die Gesetzesänderung erst nach der Wahl vorzunehmen. Als Gründe dafür wurden angeführt, dass ansonsten ein größerer Kosten- und Organisationsaufwand entstehen würde. Zudem wolle man nicht das Wahlrecht abändern, wenn bereits die Kandidierenden der Parteien aufgestellt seien, die von der Änderung eventuell betroffen sein könnten.
Diese Begründungen erscheinen allerdings nicht ausreichend, wenn es um die hinreichende Verfassungsgemäßheit des Wahlrechts und der Bundestagswahl geht. Dass der Bundestagspräsident sich der Abstimmung enthalten hat und die Bundeskanzlerin der Abstimmung im Plenum einfach ferngeblieben ist, zeigt umso mehr die demokratische Zwielichtigkeit und die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diesen Vorgang auf.
Oftmals zählt eben weniger das Recht, sondern vielmehr die Macht, die eine Mehrheitsentscheidung in fragwürdiger Form zustande bringt. Hier sei nur an den eigentlich verbotenen, jedoch von allen Fraktionen des Bundestages praktizierten "Fraktionszwang" erinnert, der bei zahlreichen Entscheidungen ebenfalls eine wirkliche rechtliche und demokratische Legitimation anzweifeln lässt. Bleibt zu hoffen, dass die besagte Wahlrechtsänderung wie angekündigt nach der Wahl zustande kommt, damit die künftigen Bundestagswahlen mit hinreichender Verfassungsgemäßheit ablaufen und somit den demokratischen Wählerwillen besser abbilden können.
Herzliche Grüße,
Ihr David Perteck
Sehr geehrter Herr Vidaud,
hinzu kommt in besagtem Fall, dass bei unterschiedlicher Abstimmung von CDU und SPD deren große Koalition zerbrochen wäre und Kanzlerin Merkel die SPD-Minister entlassen hätte. Zahlreiche Abgeordnete haben sich somit dem Fraktionszwang und der Koalitionsdisziplin gebeugt und letztlich für den Machterhalt gegen die Verfassung, gegen ihr Gewissen und gegen ihre Wähler abgestimmt.
Ebenso haben sich bereits sämtliche Parteien und Fraktionen in Regierungsverantwortung bzw. an der Macht verhalten. Ganz besonders absurd zeigt sich dies aktuell hier in Hamburg, wo die Grünen in ihrer schwarz-grünen Koalition gegen sämtliche ihrer eigenen Wahlziele und Wahlversprechen abstimmen, um der CDU weiterhin als Mehrheitsbeschaffer dienen zu dürfen.
Herzliche Grüße,
Ihr David Perteck