Ist einem Politiker innerhalb der Europäischen Union, bzw im Europäischen Parlament, oder in der EU-Kommission, wegen gesetzeswidrigen Verhalten irgendwann einmal die Immunität entzogen worden?

Sehr geehrter Herr P.,

hiermit antworte ich Ihnen auf Ihre Frage vom 24. Oktober 2022.  

Grundsätzlich ist die parlamentarische Immunität kein persönliches Privileg der einzelnen Abgeordneten, sondern gewährleistet, dass Mitglieder des Europäischen Parlaments ihr Mandat frei ausüben können und keiner willkürlichen, politisch bedingten Verfolgung ausgesetzt sind. 

Damit einem Abgeordneten des Europäischen Parlaments die Immunität entzogen werden kann, muss eine nationale Behörde beim Europäischen Parlament die Aufhebung der Immunität beantragen. Der Präsident des Parlaments - momentan Frau Roberta Metsola (EVP, Malta) - gibt daraufhin im Plenum bekannt, dass ein derartiger Antrag eingegangen ist, und leitet ihn an den Rechtsausschuss weiter. Der Ausschuss kann in Folge die zuständige Behörde um jede Information oder Auskunft ersuchen, die er für erforderlich hält. Der Abgeordnete wird angehört und kann Dokumente oder andere schriftliche Nachweise vorlegen. Der Ausschuss entscheidet dann in geheimer Sitzung, ob er dem Plenum des Parlaments empfiehlt, dem Antrag stattzugeben oder ihn abzulehnen, d.h. die Immunität des Abgeordneten aufzuheben oder sie aufrechtzuerhalten. In der nächsten Plenartagung stimmt das Parlament dann über den Antrag ab und entscheidet mit einfacher Mehrheit. Unmittelbar nach der Abstimmung setzt der Präsident das betreffende Mitglied und die zuständigen Behörden in dem betreffenden Mitgliedstaat von der Entscheidung des Parlaments in Kenntnis.

In der Vergangenheit hat es einige Fälle gegeben, in denen die Immunität Abgeordneter aufgehoben wurde. Das sind drei Beispiele:

• Herr Jörg Meuthen: Im Februar 2022 hat das Europäische Parlament dem heute fraktionslosen Abgeordneten Jörg Meuthen die parlamentarische Immunität entzogen. Zuvor hatte die Berliner Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Aufhebung der Immunität Meuthens gestellt, vor dem Hintergrund, dass Meuthen „in seiner Eigenschaft“ als AfD-Vorsitzender in den Jahren 2016, 2017 und 2018 bei der Vorlage von Rechenschaftsberichten „unzutreffende“ und „falsche oder unvollständige“ Angaben gemacht habe.
• Frau Marine Le Pen: Der damaligen französischen Europaabgeordneten und Vorsitzenden des „Front National“ (heute: „Rassemblement National“) wurde im März 2017 die Immunität entzogen. Auslöser dafür waren Ende 2015 von ihr im Internet veröffentlichte Bilder von Gewalttaten. Eines zeigte die Leiche des 2014 in Syrien ermordeten US-Journalisten James Foley. Die französische Staatsanwaltschaft beantragte daraufhin die Aufhebung ihrer Immunität, da nach ihrer Ansicht die Darstellungen die Menschenwürde verletzen, was in Frankreich eine Straftat darstellt. Das Europäische Parlament stimmte daraufhin dafür, Frau Le Pen die Immunität zu entziehen.
• Herr Hans-Peter Martin: Im September 2011 beantragte die österreichische Staatsanwaltschaft die Aufhebung der Immunität des Europaabgeordneten Hans-Peter Martin. Gegen ihn galten Vorwürfe, 2008 und 2009 gegen Vorschriften über den Einsatz nationaler Parteifördermittel verstoßen zu haben und österreichische Wirtschaftsprüfer irreführend informiert zu haben.

Mit freundlichen Grüßen

David McAllister MdEP