Frage an Daniela Wagner von Klaus Dieter W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Wagner,
dem Bundestag liegen zwei Gesetzentwürfe zum Thema "Beschneidung" vor.
Durch den Regierungsentwurf könnten minderjährige Jungen ohne medizinische Indikation beschnitten werden.
Dies ist mit dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit unvereinbar und widerspricht auch dem Art. 24,3 der UN-Kinderrechtskonvention, der die Vertragsstaaten verpflichtet "alle wirksamen und geeigneten Maßnahmen zu treffen, um überlieferte Bräuche, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind, abzuschaffen".
In der BRD ist zusätzlich das Kupieren von Hunden seit 1987/88 verboten, weil es den Tieren unnötig Schmerzen zufügt.
Dieses Grundrecht soll also für Hunde, aber nicht für nichtentscheidungsfähige Jungen gelten?
Der zweite Entwurf sieht eine Legalisierung dieses mit Risiken behafteten, schmerzhaften und irreversiblen Eingriffs nach der Einwilligung durch den Jugendlichen im Alter von 14 Jahren durch zugelassene Fachärzte vor.
Steht ein Hund denn in diesem Staat mehr unter Schutz als ein nichteinwilligungsfähiger Junge?
Ich bin bisher davon ausgegangen, daß Kinder die Schwächsten und am meisten Schutzbedürftigen in unserer Gesellschaft sind. - Hat sich das geändert, daß der Staat, dem diese Kinder anvertraut sind, sich aus der Verantwortung stiehlt?
In Erwartung einer Antwort mit aussagendem Bescheid verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
Klaus Dieter WERNER
Sehr geehrter Herr Werner,
ich bedanke mich für Ihre Fragen zum Thema Beschneidung. Die Strafbarkeit beziehungsweise Zulässigkeit der religiös begründeten Beschneidung von Jungen, die nicht medizinisch indiziert ist, wurde in den vergangenen Monaten heftig debattiert. In der grünen Bundestagsfraktion, genauso wie in allen anderen Fraktionen, gab es zu diesem Thema unterschiedliche Positionen.
Auch die öffentliche Debatte zeigte, dass es sich hierbei um eine sehr schwierige Thematik handelt, die teilweise konkurrierende, allerdings sehr prägende Aspekte des menschlichen Lebens verbindet: kulturelle und politische Geschichte sowie Menschenrechte und Religion. Es handelt sich um Bestandteile des menschlichen Lebens, die in der Tierwelt so nicht ausgeprägt sind. Aus diesem Grund fällt mir der Vergleich der Themenbereiche Beschneidung und Tierschutz, den Sie durch Ihre Fragen machen, sehr schwer.
Am 12. Dezember 2012 verabschiedete der Bundestag den Gesetzentwurf der Bundesregierung, der den Rahmen für die Zulässigkeit fachgerecht durchgeführter Beschneidungen definiert und somit die Straffreiheit der Beschneidungen minderjähriger Jungen garantiert. Ich habe dem Gesetzentwurf der Bundesregierung über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes (Drucksache 17/11295) zugestimmt. Meine Entscheidung möchte ich hiermit wie folgt begründen:
Nur aufgrund der – unter Verfassungsrechtlern isolierten – Rechtsauffassung einer kleinen Strafkammer des Kölner Landgerichts wurde es notwendig, die gängige Praxis der Beschneidung von Jungen gesetzlich zu regeln, da das Kölner Urteil und die anschließende Debatte zu tiefgreifender Verunsicherung bei Ärzten und jüdischen und muslimischen Eltern geführt haben. Jüdisches und muslimisches Leben in Deutschland darf nicht kriminalisiert werden. Die 4000 Jahre alte Praxis der Aufnahme in die religiöse Gemeinschaft mittels der männlichen Beschneidung ist ein zentrales Gebot im Judentum und auch im Islam wichtig. Es ist daher von der Religionsausübungsfreiheit der Kinder geschützt.
Die religiöse Beschneidung im Judentum und Islam berühren den Kern abrahamitischer Religionen. Sie stellt für viele Gläubige den Schritt zur vollwertigen Mitgliedschaft in der Religionsgemeinschaft dar, daher ist die Entscheidung der Eltern zweifelsohne im Sinne des Kindeswohls. Denn selbstverständlich gilt für die Beschneidung von Jungen der gleiche Grundsatz, der auch in allen anderen Fällen dem deutschen Kindschaftsrecht zu Grunde liegt: niemand ist mehr am Wohl des Kindes interessiert als die Eltern. Und genau aus diesem Grund darf das Elternrecht nur im Falle einer Kindeswohlgefährdung begrenzt werden. Diese liegt bei einer fachlich korrekt und unter medizinischen Standards durchgeführten Beschneidung nicht vor. Desweiteren umfasst die Personensorge der Eltern grundsätzlich auch das Recht, bei Einhaltung medizinischer und hygienischer Standards in eine nicht medizinisch indizierte Beschneidung ihres nicht einsichts- und urteilsfähigen Sohnes einzuwilligen.
In beiden Religionsgemeinschaften findet dieser Eingriff in Europa in der Regel durch fachkundiges Personal statt. Deshalb begrüße ich die im Gesetz vorgesehene Regelung, dass in der frühesten Lebensphase der Jungen auch eine von den Religionsgemeinschaften dafür speziell ausgebildete Person für die Durchführung befähigt wird. Häufig handelt es sich hier um Ärztinnen und Ärzte mit einer Zusatzausbildung. Der Gesetzentwurf geht in die richtige Richtung, wobei es nach meiner Ansicht noch Verbesserungspotential gegeben hätte. Aus meiner Sicht ist die sechsmonatige Frist nach der Geburt, wie im Gesetzentwurf vorgesehen, für eine nicht medizinisch notwendige Beschneidung ohne Narkose zu lang. Deshalb habe ich auch einem Änderungsantrag (Drucksache 17/11816), diese Ausnahmefrist auf 14 Tage zu verkürzen, zugestimmt. Zudem möchte ich das Recht des Kindes stärken. Das Kind muss, soweit es dazu schon in der Lage ist, auch schon vor dem 14. Lebensjahr von ärztlicher Seite über den Eingriff aufgeklärt werden. Selbstverständlich muss der Junge dann auch die Möglichkeit zum Widerspruch haben, wenn er den Eingriff nicht wünscht.
Den alternativen Gesetzentwurf (Drucksache 17/11430) lehne ich ab. Würde er beschlossen, könnten Eltern nicht mehr in eine Beschneidung ihrer Söhne einwilligen, wenn diese das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Damit würden insbesondere die religiös motivierten Beschneidungen jüdischer und muslimischer Jungen unterbunden. Die Konsequenz wäre entweder, dass jüdisches und muslimisches Leben in Deutschland stark eingeschränkt oder sogar unmöglich gemacht würde. Oder dass Eltern, die ihre Söhne dennoch beschneiden lassen – sei es im In- oder Ausland – strafrechtliche und familienrechtliche Konsequenzen zu spüren bekämen. Dies käme einer Kriminalisierung der religiös motivierten Beschneidung im Kindesalter gleich.
Jüdisches und muslimisches Leben muss in Deutschland auch in Zukunft möglich sein. Ich halte es deshalb für richtig, dass durch diese Gesetzesänderung ausdrücklich klargestellt wird, dass ich mich zu einer demokratischen und multikulturellen Gesellschaft bekenne, in der ich die neue Entstehung jüdischen Lebens in Deutschland unterstütze und Muslimas und Muslime willkommen heiße.
Persönlich sehe ich die medizinisch nicht notwendige Beschneidung eines gesunden Jungen sehr kritisch, es steht mir aber auch nicht zu, Juden und Muslimen hinsichtlich religiöser Fragen Ratschläge zu erteilen. Für vielleicht wünschenswerte Reformen religiöser Traditionen sind die Religionsgemeinschaften selbst verantwortlich und diesen nicht von außen zu oktroyieren. Dies stünde den Schutzrechten religiöser Minderheiten diametral entgegen.
Allerdings ist die Abstimmung dieses Tagesordnungspunktes als namentliche Abstimmung aufgerufen worden. Das halte ich für falsch und dem Anlass unangemessen. Eine namentliche Abstimmung dient in der Regel der Demonstration einer politischen Haltung und ihres Nachweises. Ein so schwieriges, weil stark mit religiösen Bräuchen und Gefühlen verbundenes, ja befrachtetes Thema, wie die Beschneidung ist meines Erachtens der politischen Haltungsdemonstration und dem damit einhergehenden Bekenntnisdrang kaum zugänglich. Jede Sicht auf dieses Thema hat im Zweifel ihre Berechtigung und sollte gleichermaßen respektiert werden. Der „Nachweis der richtigen Gesinnung“ qua namentliche Abstimmung ist meines Erachtens hier völlig unangebracht.
Daniela Wagner MdB