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Dagmar Enkelmann
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Frage von Anton G. •

Frage an Dagmar Enkelmann von Anton G. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Ich habe mich eben auf YouTube durch die Linke-Videos geklickt. Sie äußern sich dort auch zum NATO-Gipfel und fordern dort im Namen Ihrer Partei den Rückzug der Bundeswehr und der NATO aus Afghanistan um Platz zu schaffen für den zivilen Aufbau.
Ich stimme zunächst einmal völlig zu, dass der zivile Aufbau zur Zeit nicht zufrieden stellt. Auch ich bin gegen den Einsatz der Bundeswehr und der NATO in Afghanistan, aber aus anderen Gründen als Sie das sind.

Jetzt aber zu meiner Frage: Was meinen Sie, wird passieren, wenn die Bundeswehr/NATO aus Afghanistan abzieht? Ich habe die Befürchtung, dass dann genau die wieder das Heft in die Hand nehmen, die es nach dem Abzug der Sowjetunion in die Hand nahmen: die Taliban. Und die machen dann dort das, was sie für das Normalste auf der Welt halten und von dem sie glauben, dass Gott es ihnen befohlen hat: sie führen die Scharia ein und errichten einen totalitären Gottesstaat. Ich rechne damit, dass Hilfsorganisationen arbeiten dürfen, aber nur soweit, wie sie nichts gegen die Taliban und ihr Weltbild unternehmen, also im Klartext: Hilfsmittel für Moscheen sind erlaubt und erwünscht, aber eine Schule, wo Mädchen ohne Kopftuch hingehen - das können wir uns schon mal abschminken. Einen Vorgeschmack auf Taliban-Herrschaft kann man sich ja derzeit im Swat-Tal machen, denn dort wurde Verwaltung und Gerichtsbarkeit an die Taliban übergeben in der Hoffnung, das man sie so besänftigen kann.
Wie stellen Sie sich eine Lösung für dieses Problem vor, noch dazu ohne Militär? Ich kann mir eine rein zivile Lösung nämlich genausowenig vorstellen wie eine rein militärische.

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Gorodezky,

ich freue mich, dass meine Stellungnahme auf YouTube Ihre Zustimmung findet und Sie ebenfalls, wenn auch aus anderen Gründen, für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan sind.

Ihre Frage, was passiert, wenn die Bundesregierung abzieht, ist zunächst spekulativ - klar ist aber, dass die Hoffnungen der afghanischen Bevölkerung nach dem Sturz der Taliban auf eine baldige, allgemeine Besserung der Lebensbedingungen enttäuscht wurden. So lebt heute die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Die meisten Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser und Elektrizität. Laut einer aktuellen Studie der Asia-Foundation nehmen nur 38 Prozent der befragten Bürgerinnen und Bürger Afghanistans an, das Land bewege sich in die Richtung. 32 Prozent nehmen das Gegenteil an, nahezu ein weiteres Drittel ist unentschieden.
Ohne Frage: Ohne Sicherheit kann es keine nachhaltige Entwicklung Afghanistans geben. Zugleich hat das bisher vorrangig verfolgte Konzept militärischer Stärke diese Sicherheit aber nicht gewährleisten können - im Gegenteil. Zwar haben die NATO-Kräfte in Afghanistan die Taliban aus mehreren Provinzen vertrieben, in diesen Gebieten konnte aber keine stabile Ordnung aufgebaut werden. Auf regionaler und lokaler Ebene werden - sogar unter dem Schutz der NATO - bekanntermaßen autokratische Herrschaftsstrukturen weiterhin geduldet, solange sie den Besatzungskräften wohlgesinnt sind. Der damit einhergehende Vertrauensverlust in die Regierenden ist einer der Gründe, die den Widerstand der militanten Oppositionskräfte, darunter den Taliban, befördert.

Man muss sich also fragen - und das tun Sie sicher auch - ob es nicht Alternativen zu diesem militärischen Vorgehen gibt. Zunächst fällt das krasse Missverhältnis zwischen militärischen und zivilen Ausgaben auf. Für Entwicklungshilfe wird pro Tag die stattlich erscheinende Summe von etwa 7 Millionen Dollar ausgegeben. Dieser stehen jedoch weit über 100 Millionen Dollar gegenüber, die der internationale Militäreinsatz täglich verschlingt. "Ein Prozent davon würde für eine angemessene Bezahlung sämtlicher afghanischen Richter und Staatsanwälte, Soldaten und Polizisten genügen". Diese Angaben stammen nicht von mir, sondern sind einem Autorbeitrag von Dr. Tilman J. Röder vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht entnommen. (Quelle: Max-Planck-Forschung, Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft, 1/2009)

Die Mittel, um die afghanische Staatlichkeit zu stärken, sind also vorhanden - vorausgesetzt, die militärische Gewalt (und der Aufwand dazu) wird zurückgefahren und umgelenkt, um zivilgesellschaftlichen Strukturen Platz zu machen. Die Forderung der LINKEN, die Bundeswehr aus Afghanistan abzuziehen, bedeutet nicht, dass alle Soldaten morgen das Land Hals über Kopf verlassen, sondern sie bedeutet, dass mit dem heutigen Tag mit dem Abzug tatsächlich begonnen und dieser in überschaubarer Zeit abgeschlossen wird - eingebettet in eine Exit-Strategie, die eben auch die Gewährung von Sicherheit einschließt. Dazu sollen selbstredend auch die Mittel für die afghanische Armee und Polizei aufgestockt werden. Die Ausbildung dieser Sicherheitskräfte muss mit dem Aufbau ziviler Strukturen einhergehen. Über Elemente einer Exit-Strategie denkt inzwischen bekanntlich auch die Bundesregierung nach.

Was den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen in Afghanistan angeht, so räumt auch Dr. Röder ein, dass es in Afghanistan Rechtsnormen gibt, "die mit den Menschenrechten nach westlicher Auslegung nicht vereinbar sind - etwa im Familienrecht, das Frauen die Scheidung wesentlich schwerer macht als Männern." Und weiter: "Die Verfechter eines materiellen Rechtsstaatsbegriffs setzen sich dafür ein, auch Menschenrechte und demokratische Grundregeln durchzusetzen. Doch hier ist Vorsicht geboten. Die wohlmeinenden Berater geraten an diesem Punkt in Gefahr, der afghanischen Gesellschaft Werte aufzudrängen, die auf keine Zustimmung treffen. Viele Menschen im Land empfinden Druck in dieser Richtung als anmaßend und verlogen."

Die LINKE plädiert deshalb dafür, die Förderung der Menschenrechte in der afghanischen Zivilgesellschaft selbst zu verfolgen, etwa durch Unterstützung afghanischer Menschenrechtsgruppen. DIE LINKE unterstützt die Friedens-Jirga und ihren Aufruf, das Selbstbestimmungsrecht der Völker in Afghanistan anzuerkennen. Das beinhaltet einen fundamentalen Strategiewechsel in der Entwicklungshilfe. Lokale Akteure und Bedürfnisse müssen wesentlich stärker in ein Gesamtkonzept einfließen, das Menschenrechte wie Bildung, Wasser und Strom in den Vordergrund stellt. Eine selbstbestimmte Perspektive für Afghanistan ist der einzige Weg, um endlich nach 30 Jahren des Krieges dem ein Ende zu setzen und eine friedliche Konfliktlösung auf den Weg zu bringen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Dagmar Enkelmann