Frage an Dagmar Enkelmann von Guntram S. bezüglich Familie
Sehr geehrte Frau Enkelmann,
Bei der Einführung des Betreuungsgeldes haben Sie mit NEIN gestimmt.
Gerade für Mütter aus Ihrer Wählerschicht (Unterschicht) stellt jedoch die Tatsache, alternativ zur Karriere sich um ihre Kinder SELBST zu kümmern, und dafür angemessen eine wirtschaftliche Unterstützung zu bekommen, eine echte Alternative dar?
Frage 1:
Welchen Vorteil haben Mütter/Väter, denen eine "Karriere" mit einigermaßem hohen Einkommen aufgrund ihres Bildungsstandes oder auch des Mangels an verfügbaren Arbeitsplätzen im akademischen Bereich, wenn ihnen eine wirtschaftliche Unterstützung, die nicht einmal die Existenz sichert, verwehrt wird?
Frage 2:
Mir fällt auf, dass gerade diejenigen Politiker GEGEN das Betreuungsgeld arbeiten, die selbst aufgrund eigener wirtschaftlicher Verhältnisse gar nicht mehr wissen, wie viel Entlastung 150 Euro für eine Familie am Existenzminimum bedeuten? Wie ernsthaft nehmen Sie die Probleme der Familien wirklich wahr?
Frage 3:
Wäre es nicht eine kolossale familienpolitische Verbesserung, wenn in Zukunft betreuende Elternteile ein EIGENES, gesellschaftlich finanziertes Gehalt bekämen, das die Existenzsicherung deckt, und dafür als Gegenfinanzierung das Ehegattensplitting und andere halbherzige Familienförderungen gestrichen würden? Muss es nicht im Interesse der LINKEN, einer "Partei der Armen Leute" sein, dass das "Steuersparmodell" durch eine Pauschalförderung ersetzt wird, da Geringverdiener ja wenig Steuern zahlen und damit ja auch wenig Vorteile aus den Freibeträgen (Betreuungs- und Grundfreibetrag) gegenüber Singles ziehen können?
Sehr geehrter Herr Seiss,
zunächst möchte ich festhalten, dass die Wählerinnen und Wähler der LINKEN nicht einer, wie Sie es nennen, „Unterschicht“ angehören. Diese diskriminierende Wortwahl mache ich mir ausdrücklich nicht zu eigen.
Abgesehen davon ist es ein verbreiteter Irrtum, DIE LINKE würde in erster Linie von Erwerbslosen, Sozialhilfeempfängern oder anderen sozial Benachteiligten gewählt. Diese Menschen gehen oftmals gar nicht zur Wahl, weil sie vielfach von der herrschenden Politik enttäuscht sind. Diese Politikverdrossenheit trifft auch DIE LINKE.
DIE LINKE ist – entgegen Ihrer Annahme - keine „Partei der Armen Leute“, weder von ihren Mitgliedern noch von ihrer politischen Programmatik her. Unser Einsatz für einen Mindestlohn, für die Abschaffung von Hartz IV, für bessere Bildung, bezahlbares Wohnen und vieles andere mehr resultiert daher, dass wir die gegenwärtigen Verhältnisse für ungerecht halten. DIE LINKE hat nichts gegen ehrlich erworbenen Wohlstand und Reichtum, aber etwas dagegen, dass der von allen erarbeitete Reichtum ungleich verteilt wird.
Würde der Regierung wirklich die Chancengleichheit von Kindern, die in sozial benachteiligten Familien leben, am Herzen liegen, würde sie das Betreuungsgeld nicht auf den Hartz-IV-Regelsatz anrechnen. Sie würde den Regelsatz für Kinder und Jugendliche endlich auf ein menschenwürdiges Niveau heben, den Unterhaltsvorschuss und den Kinderzuschlag verbessern. Mit den Milliarden, die für das Betreuungsgeld ausgegeben werden sollen, ließe sich in sozialer Hinsicht hundertmal Besseres und Sinnvolleres anfangen.
Ihre Unterstellung, ich wüsste als jetzt gutverdienende Politikerin nicht, was 150 Euro für eine Familie bedeuten, ist völlig absurd. Wenn Sie sich meine Biografie ansehen, würden Sie sehen, dass ich drei Kinder groß gezogen habe und das teilweise allein erziehend.
Das Ehegattensplitting hat sich aus meiner Sicht überlebt. Von den 20 Milliarden Euro, die das Splitting jährlich den Staatshaushalt kostet, geht ein Großteil an Ehepaare ohne Kinder bzw. an Ehepaare, in deren Haushalt keine Kinder mehr leben, weil diese inzwischen ausgezogen sind. Von den in der Bundesrepublik lebenden 13 Millionen Kindern wachsen 17 Prozent bei Alleinerziehenden auf. Diese - wie die mit beiden Eltern zusammenlebenden - Kinder gehören viel stärker direkt unterstützt.
Dazu zählen ein deutlich erhöhtes Kinder- und Elterngeld, gute und bezahlbare Kita-Plätze, moderne Schulen, beste Bedingungen für Ausbildung und Studium sowie preiswerte Freizeitangebote in Vereinen und öffentlichen Einrichtungen. Die Arbeitszeit ist so zu gestalten, dass Väter und Mütter die Möglichkeit haben, neben der Elternschaft einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und sie nicht per Betreuungsgeld an Heim und Herd gefesselt werden.
Alles in allem gilt es, das Sozial- und Steuerrecht zu individualisieren. Dafür hat DIE LINKE bereits seit Jahren entsprechende Vorschläge unterbreitet, zuletzt 2011 mit ihrem Antrag „Für eine moderne und zukunftsweisende Familienpolitik“ (Drs. 17/6915). Der Antrag ist übrigens im Mai 2012 von der Mehrheit des Bundestages mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP und SPD sowie bei Enthaltung der Grünen abgelehnt worden,
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Dagmar Enkelmann