Frage an Cornelia Ernst von Frank B. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Dr. Ernst,
mein Interesse gilt heute der im Vertrag von Lissabon eingeführten Todesstrafe ( http://www.presswire.de/default.asp?obj=8&id=25181 ). Noch gilt bei uns Artikel 102 des Grundgesetzes „Die Todesstrafe ist abgeschafft“, aber der Bundestag kann in kurzer Zeit das Grundgesetz verändern ( http://www.tagblatt.de/Home/nachrichten/land-welt_artikel,-Grundgesetzaenderung-beschlossen-_arid,103765.html ). Der Artikel 102 unterliegt nicht der Ewigkeitsklausel, wie die Artikel 1 und 20 GG.
- Warum war es für die EU, und dem Bundestag, so wichtig, für Aufstand, Aufruhr, Krieg und Kriegsgefahr die Todesstrafe einzuführen?
- Kann der Artikel 102 GG durch die EUROGENDFOR ausgehebelt werden?
- Alle 27 Mitgliedstaaten hatten die Todesstrafe abgeschafft, dennoch wurde sie wieder eingeführt. Warum?
- Warum wird die Todesstrafe nicht ausgeweitet auf Terroristen, Kinderschänder, Massenmörder und Hochverrat?
- Wie unterscheidet sich Aufstand/Aufruhr von der Ausübung von Recht auf Widerstand?
- Wie kann vermieden werden, dass die Ausübung von Recht auf Widerstand zum Aufstand/Aufruhr eingestuft wird?
- Welche Vorschriften gelten für die Todesstrafe? Wie wird sie umgesetzt? Welche Form kommt zum Einsatz? Spritze? Erschießen? Galgen? Fallbeil?
- Welche Instanz entscheidet über die Todesstrafe?
Ich möchte Sie bitten meine Fragen nicht nur mit dem Artikel 102 abzuschmettern. Immerhin könnten innerhalb weniger Tage Bundestag und Bundesrat diesen Artikel aus dem GG streichen. Das Beschneidungsgesetz hat gezeigt, wie schnell der Gesetzgeber handeln kann, wenn er will. Ich habe übrigens zum Thema Widerstandsrecht eine Petition im Petitionsausschuss des Bundestages eingereicht (als öffentliche Petition eingereichte, aber nicht veröffentlichte Petition Nr. 38490) Darum interessiert mich besonders die Unterscheidung zwischen Aufstand/Aufruhr und das Recht auf Widerstand.
Ich bedanke mich für die ausführliche Beantwortung meiner Fragen.
Mit freundlichen Grüßen
F. Borgmann
Sehr geehrter Herr Borgmann.
ich danke Ihnen für Ihre Frage. Die Todesstrafe ist ein höchst heikles und emotional belastetes Thema. Daher verstehe ich, dass es Ihnen wichtig ist, dass die Todesstrafe von der Europäischen Union und den Mitgliedsstaaten geächtet ist und bleibt. Das ist selbstverständlich auch meine Position.
Ich bin der Meinung, hier müssen wir mehrere Ebenen auseinanderhalten. Zum einen geht es um die Frage der rechtlichen Absicherung des Verbots der Todesstrafe. Hier ist die Rechtslage aus meiner Sicht sehr deutlich. Wie Sie schon schreiben, ächtet Art. 102 des Grundgesetzes die Todesstrafe. Einer Änderung dieser Verfassungsvorschrift steht das 13. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) entgegen. Der Bundesrepublik ist es danach verboten, die Todesstrafe wieder einzuführen. Das 13. Zusatzprotokoll hat das 6. Zusatzprotokoll abgelöst (lediglich Russland und Aserbaidschan sind als Mitglieder des Europarates nicht beigetreten), das noch Ausnahme für Kriegszeiten vorgesehen hatte.
Auch die EU ist über Art. 6 Abs. 3 des EU-Vertrages, und nach ihrem hoffentlich baldigen Beitritt auch direkt über Abs. 2, an das 13. Zusatzprotokoll der EMRK gebunden. Zudem sieht auch die Grundrechtecharta der EU in Art. 2 Abs. 2 vor, dass diese abgeschafft ist. Ausnahmen sind nicht vorgesehen. Die Todesstrafe ist also keineswegs über den Lissabon-Vertrag wieder eingeführt worden. Die in dem von Ihnen verlinkten Artikel angesprochenen Erläuterungen zur Grundrechtecharta, die etwa von der Niederschlagung eines Aufstandes sprechen, beziehen sich nicht auf die Abschaffung der Todesstrafe, sondern auf Art. 2 Abs. 1, das Recht auf Leben. Die Erläuterungen weisen darauf hin, dass die Tötung eines Menschen unter bestimmten Bedingungen durch staatliche Stellen (etwa im Rahmen eines Polizeieinsatzes, Stichwort: "finaler Rettungsschuss") rechtlich zulässig sein kann. Auch das ist eine wichtige Frage, zu der man kritisch stehen kann und soll, sie sollte aber nicht mit der Frage der Todesstrafe verwechselt werden.
Zusammenfassend bin ich der Ansicht, dass die rechtlichen Voraussetzungen zur Ächtung der Todesstrafe vor und nach dem Lissabon-Vertrag seit der Einführung des 13. Zusatzprotokolls zur EMRK im Jahre 2002 umfassend sind. Natürlich gibt es noch eine zweite Ebene, die man beachten muss: Das Recht steht grundsätzlich unter der Prämisse, dass es auch in schwierigen und gefährlichen Zeiten beachtet wird. Daher sind wir alle berufen, die Einhaltung der Menschen- und Grundrechte auch dann zu verteidigen, wenn eine vermeintliche oder tatsächliche Gefahr die Sicherheit der Menschen beeinträchtigt. Daher streitet DIE LINKE in Europa für die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards, wenn diese etwa im Rahmen von Terrorismusbekämpfung aufgeweicht werden sollen.
Mit freundlichen Grüßen
Cornelia Ernst