Frage an Constanze Krehl von Niels S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Krehl,
mich interessiert, ob Sie als Sozialdemokratin am 15. Dezember 2005 der Richtlinie 2006/24/EG über die Vorratsspeicherung von Daten bei der Abstimmung im Europäischen Parlament zugestimmt haben?
Das Ergebnis kam 2005 vor allem durch Stimmen der Christdemokraten und Sozialdemokraten zu Stande. Wenn diese Richtlinie heute noch einmal zur Entscheidung stünde, würden Sie sich wieder genauso entscheiden?
Als studierte Informatikerin sind Sie sich der technischen Möglichkeiten, die eine Speicherung von personengebunden Orts- und Kommunikationsdaten mit sich bringt sicher bewusst. Sie können eventuell sogar nachvollziehen, wie einfach Kriminellen und Terroristen die Instrumente der Vorratsdatenspeicherung umgehen können.
Wie beurteilen Sie die Angemessenheit, Erforderlichkeit und den Nutzen der genannten EU-Richtlinie vor dem Hintergrund einer möglichen Verletzung von EU-Grundrechten?
Mit freundlichen Grüßen,
Niels Seidel
Sehr geehrter Herr Seidel,
ich bedanke mich für Ihre Anfrage.
Am 14. Dezember 2005 habe ich der Richtlinie 2006/24/EG über die Vorratsspeicherung von Daten zugestimmt.
Intention der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament war damals, während der Verhandlungen zur Vorratsdatenspeicherung mit den anderen Fraktionen, dem Rat und der EU-Kommission, den Einfluss hinsichtlich des Datenschutzes so weit wie möglich geltend zu machen, um eine Position durchsetzen zu können, welche die bürgerliche Freiheit nicht beschränkt und dennoch Sicherheit garantiert.
Im Mitentscheidungsverfahren konnten wir 2006 somit erreichen, dass:
§ der Zweck der Speicherung auf die Ermittlung, Aufdeckung und Verfolgung ausschließlich schwerer Straftaten beschränkt bleibt,
§ die Anwendung von Sanktionen in die Richtlinie aufgenommen wird, die insbesondere einen unbefugten Zugriff auf oder den Umgang mit den Daten verhindert und die Einhaltung dieser Bestimmungen sichern soll,
§ die Speicherung von Standortdaten im Mobilfunk nur zu Beginn, nicht jedoch zum Ende der Kommunikation möglich ist, um so kein Bewegungsprofil erstellen zu können,
§ die Speicherung von Internetdaten auf die Einwahldaten und die Verkehrsdaten zu E-Mails und Internettelefonie beschränkt bleibt. Insbesondere wird also nicht gespeichert, welche Internetseiten ein Nutzer aufgerufen hat.
Eine Ablehnung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung kam für uns aus folgendem Grund nicht in Frage.
Eine Ablehnung hätte nämlich folgendes bewirkt:
Der Rat hätte zu einem gemeinsamen Standpunkt gefunden, der aufgrund der bereits äußerst schwierigen und zähen Verhandlungen in den eigenen Reihen nicht von dem jetzigen Vorschlag abgewichen wäre. Dieser Vorschlag wäre dem Parlament zur zweiten Lesung vorgelegt worden. Auch das Europäische Parlament wäre vermutlich nicht zu einem neuen Ergebnis gekommen, so dass der Vermittlungsausschuss hätte einberufen werden müssen.
Zwischenzeitlich hätten weitere Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene ihre eigenen Pläne bereits umgesetzt, von denen anzunehmen ist, dass sie weit über das von uns vorgeschlagene Instrument hinausgingen.
Insofern haben wir nach unserer Überzeugung das Beste getan, was wir tun konnten und das Beste erreicht, was damals möglich war.
Am 21. Dezember 2007 trat das deutsche Umsetzungsgesetz in Kraft, welches die Verpflichtung zur Speicherung der Verkehrsdaten der Kunden für 6 Monate und die Voraussetzungen für den Zugriff durch die Staatsorgane beinhaltet.
Am 03 März 2010 stellte das Bundesverfassungsgericht jedoch fest, dass die Umsetzung der Richtlinie nicht mit Artikel 10 I des Grundgesetzes (Grundrecht auf Schutz des Fernmeldegeheimnisses) vereinbar sei und somit nichtig ist (§§ 113a, 113 TKG, § 100g). Die Stoßrichtung des Gesetzes sei ein legitimes Ziel, aber Angemessenheit der Regelung sei nicht gegeben sowie die richterliche Kontrolle unzureichend.
Folgende Punkte dieser Regelung hält das BVerfG für verfassungskonform:
§ Die Speicherung erfolgt nicht durch den Staat.
§ Die Daten werden nicht zentral zusammen geführt.
§ Es gibt eine 6-Monatsfrist für die Speicherung.
§ Anlasslose Speicherungen sind die Ausnahme.
Um vollständig verfassungskonform zu sein, müssen folgende Kriterien erfüllt sein:
§ Der Staat muss Art und Umfang der Schutzvorkehrungen festlegen (nicht die Unternehmen, welche die Daten speichern).
§ Der Zugang zu den Daten muss besser verschlüsselt werden.
§ Nur bei einer belegten konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit, den Bestand des Bundes/Landes oder zur Abwehr einer allgemeinen Gefahr darf Zugriff auf die Daten gewährt werden.
§ Es muss einen Richtervorbehalt für die Datenabrufung geben.
Wir als Sozialdemokraten setzen uns dafür ein, dass die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung verfassungskonform und so, wie vom Europäischen Parlament abgestimmt in Deutschland umgesetzt wird. Die derzeitige Umsetzung entspricht nicht der geforderten Balance zwischen dem Gewähren von Sicherheit und der Wahrung europäischer Freiheitsrechte.
Des Weiteren ist zu begrüßen, dass die Kommission für Beginn des kommenden Jahres Nachbesserungen an der nun seit mehr als fünf Jahre in Kraft seienden Richtlinie angekündigt hat. Hierbei soll der Fokus besonders auf dem Datenschutz und dem Schutz der Privatsphäre liegen.
Auf die Einhaltung von Bürgerrechten als oberste Priorität werden wir daher weiter drängen. Einer sinnlosen Flut von Datenansammlungen werden wir uns entschieden widersetzen. Denn auch wir sind der Überzeugung, dass nicht alle Mittel mit dem Argument, den Terrorismus bekämpfen zu wollen, geeignet sind.
Mit freundlichen Grüßen,
Constanze Krehl