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Constanze Krehl
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Frage von Daniel B. •

Frage an Constanze Krehl von Daniel B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Krehl,

ich lese gerade bei AW, dass Sie Diplominformatikerin sind. Gleichzeitig haben Sie in den Abstimmungen für das Telekompaket und für Totalprotokollierung unter dem euphemistischen Titel »Vorratsdatenspeicherung« gestimmt.

Das Telekompaket soll die Netzneutralität erheblich einschränken und wird zu einer Verkomplizierung der Internetkostenaufteilung und schätzungsweise auch zu einer Steigerung dieser Kosten führen. Gerade Websites außerhalb des Massengeschmacks, also Sites mit alternativen Angeboten und private Veröffentlichungen, werden kaum Eingang in spezielle Tarife finden. Das Telekompaket stellt aus meiner Sicht eine unnötige Verschlechterung der Gleichstellung im Internet dar. Letztendlich werden nur die gewinnen, die bereit sind, viel Geld dafür auszugeben.

Noch mehr ärgert mich, dass Sie für die VDS gestimmt haben. Die VDS ist im Einsatz gegen Terroristen, um die es ja vorgeblich geht, vollkommen wirkungslos und die Totalprotokollierung eine deratig eklatanter Verstoß gegen das Grundgesetz, das mir vollkommen schleierhaft ist, wie Sie zu dieser Entscheidung gekommen sind.

Ich möchte Sie deshalb bitten, nachvollziehbar darzustellen, weshalb Sie dafür gestimmt haben, denn es entsteht der Eindruck, dass Sie sich einfach einer vorgegebenen Linie angeschlossen haben, ohne mit ihrem vorhandenen Wissen einen ernsthaften Entschluss zu fassen und Rückgrat zu beweisen.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Böhmer,

vielen Dank für Ihre Email, in der Sie Ihre Besorgnis zu dem Telekom-Paket und der bereits vor geraumer Zeit verabschiedeten Vorratsdatenspeicherung zum Ausdruck bringen. Gern erläutere ich Ihnen die Gründe, die zu meinem Abstimmungsverhalten bei der Vorratsdatenspeicherung geführt haben, welches - entgegen Ihrer Auffassung - nicht auf dem bloßen Folgen einer vorgegebenen Linie basiert, sondern das Ergebnis eines langwierigen und schwierigen Verhandlungs- und Abwägungsprozesses ist.

Vorratsdatenspeicherung:
Die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung (RL-VDS) wurde vom Europäischen Parlament im Jahr 2005 mit 378 zu 197 Stimmen angenommen. Ziel der RL-VDS war und ist es, einen einheitlichen europäischen Rahmen für die zum damaligen Zeitpunkt bestehenden - und zum Teil wild ausufernden Maßnahmen - auf der Ebene der EU-Mitgliedstaaten zu schaffen und den nationalen Maßnahmen Grenzen zu setzen. Vor dem Hintergrund einer verstärkten Gefahr terroristischer Anschläge, haben viele Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene weitreichende Gesetze für eine Vorratsdatenspeicherung von Verkehrsdaten (nicht deren Inhalte!) von Telekommunikationsdiensten verabschiedet und umgesetzt. So werden beispielsweise in Italien die Daten für vier Jahre gespeichert oder in Spanien unbeantwortete Anrufe mit einbezogen. Um ein weiteres Ausufern der nationalen Maßnahmen zu verhindern, hat das Europäische Parlament eine Mindestharmonisierung und damit die Einführung von Mindestgarantien durchgesetzt.
Dabei gab es zwischen Rat und Parlament erhebliche Auseinandersetzungen. Wäre es allein nach dem Rat und somit den EU-Mitgliedstaaten gegangen, wäre die Speicherungspflicht für Daten auf drei Jahre vorgeschrieben, es würden die unbeantworteten und erfolglosen Anrufe ebenso einbezogen werden wie die aufgerufenen Internetseiten und die Standortdaten zu Beginn und zum Ende einer Kommunikation, wodurch praktisch ein Bewegungsprofil erstellt werden könnte. Vor allem auf Druck der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament haben wir diese Vorstellungen abwehren können, so dass die Speicherfrist auf mindestens 6 Monate und maximal 24 Monate beschränkt wird. Nur dort, wo bereits längere Fristen angewandt werden (z.B. Italien), ist dies weiterhin möglich. Nach dieser Frist müssen die Verkehrsdaten gelöscht werden. Ein Verstoß gegen diese Anforderung wird bestraft. Über diese Regelung hinaus haben wir es geschafft, dass die Daten nicht zu kommerziellen Zwecken an Dritte weitergeben werden dürfen und die Speicherung erfolgloser Anrufe herausgenommen wird. Zudem ist die Speicherung der Standortdaten zum Ende einer Kommunikation ebenso wie die der aufgerufenen Internetseiten nicht möglich. Darüber hinaus konnten wir Sozialdemokraten uns damit durchsetzen, dass die Vorratsdatenspeicherung nur zur Verfolgung und Aufdeckung von schweren Straftaten, nicht aber zur Prävention und im Bereich jeglicher Straftaten eingesetzt werden darf, wie der Rat es vorhatte. Was eine schwere Straftat ist, wird durch den Straftatenkatalog des Europäischen Haftbefehls definiert, der u.a. Mord, Entführung, Kinderpornographie, Menschenhandel und terroristische Aktionen dazuzählt.
Natürlich hätten wir die RL-VDS aber auch komplett ablehnen können. Allerdings hätte dies zur Folge gehabt, dass weitere Mitgliedstaaten im Alleingang ihre Pläne bereits umgesetzt hätten, die mit Blick auf die Diskussionen im Rat weit über die verabschiedete RL-VDS hinausgegangen wären. In diesem Sinne hat die Fraktion der Europäischen Sozialdemokraten für die Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union gehandelt und steht zu ihrer Entscheidung. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die RL-VDS im Jahr 2010 einer Überprüfung unterzogen wird, um ggf. Veränderungen vorzunehmen. Durchgeführt wird die Überprüfung durch eine Expertengruppe, bestehend aus Vertretern von Strafverfolgungsbehörden, Branchenverbänden der Kommunikationsindustrie, den Datenschutzbehörden sowie dem Europäischen Datenschutzbeauftragten und zwei Vertretern des Europäischen Parlaments.
Unabhängig davon wird es für Computer-Experten vermutlich immer Mittel und Wege geben, durch technisches know-how eine Speicherung von Daten zu umgehen. Dies kann aber nicht bedeuten, dass wir von Vornherein untätig bleiben. Wir wollen vielmehr alles tun, damit schwere Straftaten leichter aufgeklärt werden können, ohne dabei den Datenschutz zu vernachlässigen.

Telekom-Paket
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Europäischen Parlament stehen zum Prinzip der Netzneutralität. Gleichzeitig sehen wir die Notwendigkeit, durch "traffic management" sicherzustellen, dass alle Nutzer gleichberechtigten und ausreichenden Zugang zum Internet haben. Die Herausforderung bei der Verabschiedung des Telekom-Pakets lag darin, "traffic management" dort zu erlauben, wo es sinnvoll ist, und gleichzeitig sicherzustellen, dass einer Diskriminierung einzelner Websites durch Internet-Provider ein Riegel vorgeschoben wird. Dies ist uns gelungen: In der Richtlinie steht, dass die nationalen Regulierungsbehörden gewährleisten müssen, dass Maßnahmen des "traffic managments" diskriminierungsfrei sind. Die von Ihnen befürchtete "Zerstückelung" des Internets durch die Provider ist durch das Telekom-Paket also nicht zu befürchten.

Ich hoffe, dass ich damit Ihre Befürchtungen ausräumen konnte. Sollten Sie Fragen haben, können Sie sich jederzeit gern wieder an mich wenden.

Mit freundlichen Grüßen,

Constanze Krehl