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Frage von Andreas K. •

Frage an Clemens Binninger von Andreas K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Binninger,

mich würde interessieren, inwiefern aus Ihrer Sicht nicht darüber nachgedacht werden sollte, auf Bundesebene Volksbegehren - zur Stärkung der politischen Aktivität und Mündigkeit der Bürger - einzuführen? Immerhin gibt es Volksbegehren auf Länderebene.

Ich freue mich auf Ihre Antwort,
mit freundlichen Grüßen
A. Kegel

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Sehr geehrter Herr Kegel,

gerne teile ich Ihnen meine persönliche Einschätzung zur Diskussion um Volksentscheide auf Bundesebene mit. Ich lehne Volksentscheide auf Bundesebene ab und begründe das im Folgenden auch gerne.

Ich glaube nicht, dass die Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene zwangsläufig Politikverdrossenheit entgegenwirken und die politische Aktivität fördern würde. Die Erfahrungen aus den Bundesländern, wo - wie Sie es ja auch ansprechen - Möglichkeiten zu Volksentscheiden in den Landesverfassungen verankert sind, lassen diesen Schluss meiner Ansicht nach nicht zu. Vielmehr zeigt sich, dass sich vor allem diejenigen, die ohnehin großes Interesse an Politik haben, zeitlich begrenzt und auf ein einzelnes Thema beschränkt verstärkt engagieren. Das ist sicherlich auch positiv zu bewerten. Meiner Ansicht nach steht dem aber eine Reihe kritischer Punkte gegenüber.

Das Beispiel Schweiz als ein Land mit einer ausgeprägten Tradition direktdemokratischer Beteiligung weist eine hohe Zahl an Volksbegehren und Volksentscheiden auf. Auf kommunaler, kantonaler und gesamtsstaatlicher Ebene sind die Schweizer fast jeden Monat zu einer Abstimmung aufgerufen. Hier ist in der Regel eine geringe Beteiligung - und damit eben kein gesteigertes politisches Interesse - zu verzeichnen. Die Kosten für die Abstimmungen sind im Vergleich dazu enorm. Nur bei zentralen Themen geben hier viele Menschen ihre Stimme ab. Das wiederum zeigt auch ein ganz anderes Problem von Volksabstimmungen: Aktive Minderheiten und gut organisierte Gruppen sind hier in der Lage, eigene Interessen über plebiszitäre Elemente öffentlich auf die politische Agenda zu setzen, wenn nicht sogar zu verwirklichen. Im Gegensatz dazu sind gewählte Abgeordnete dem Gemeinwohl verpflichtet.

Die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheiden auf Bundesebene würde das parlamentarische Regierungssystem der Bundesrepublik in seinen Grundfesten verändern. Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung würden an politischer Gestaltungskraft verlieren. Es würde sich die Frage aufdrängen, ob letztlich ein in einer Volksabstimmung beschlossenes Gesetz größeres Gewicht hätte als ein Parlamentsbeschluss. Außerdem sehe ich eine gewisse Gefahr, dass Gesetze bei nicht vorhandenen Parlamentsmehrheiten über den plebiszitären Umweg eingebracht werden könnten oder die Politik bei unangenehmen Fragen und Entscheidungen ihre Verantwortung abgeben könnte. Das ist nicht meine Vorstellung von Politik.

Wichtig ist hier in meinen Augen auch die schon von unserem ersten Bundespräsidenten vorgetragene Warnung, dass Volksbefragungen schnell zur "Prämie für Demagogen" werden können. Alleine schon die Ankündigung, ein kontrovers diskutiertes Thema einem Volksentscheid vorzulegen, würde öffentlich hohe Wellen schlagen und möglicherweise zu einer Polarisierung führen, so dass Themen auch gegen vom Volk gewählte Parlamentsmehrheiten zur Entscheidung gebracht werden müssen. Das würde unser ganz bewusst auf Kompromiss und Interessenausgleich ausgelegtes parlamentarisches Gesetzgebungsverfahren möglicherweise radikal verändern.

Ich bin außerdem überzeugt, dass nur ein repräsentatives Regierungssystem komplexen Sachfragen ausreichend gerecht wird. Ein Plebiszit bringt im Kern immer die Notwendigkeit mit sich, komplexe Sachfragen auf bloße Ja- oder Nein-Alternativen zu reduzieren. Die Erfahrungen mit den Referenden, die in einigen Staaten zur Europäischen Verfassung durchgeführt wurden, zeigen darüber hinaus, dass häufig nicht die Inhalte eines Plebiszits im Mittelpunkt der Abstimmung stehen, sondern ganz andere Fragen oder sogar einfach nur aktuelle Stimmungslagen einen Volksentscheid prägen.

Volksabstimmungen auf der kommunalen Ebene und auf der Landesebene halte ich für sinnvoll und bin auch dafür, sie hier auszubauen. Die Folgen staatlichen Handelns auf der Länderebene und in den Kommunen sind wesentlich überschaubarer und konkreter nachvollziehbar als auf der Bundesebene. So hätte z. B. die Senkung des Mehrwertsteuersatzes in einer Volksabstimmung auf Bundesebene sicher nicht nur in der derzeitigen Situation eine Mehrheit. Ein derartiger Schritt hätte aber erhebliche Folgen und würde zahlreiche haushaltspolitische Entscheidungen nach sich ziehen. Die Entscheidung über den Bau einer Straße oder eines Kongresszentrums auf kommunaler Ebene dagegen ist wesentlich klarer, die Folgen kalkulierbar. Mit der sog. Föderalismusreform I wurden für direktdemokratische Elemente auf Landes- und kommunaler Ebene bessere Voraussetzungen geschaffen. Dies geschah auch deshalb, weil Länder und Kommunen im Rahmen der Reform mehr Aufgaben und Kompetenzen erhalten haben.

Gerade die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beweist, dass das System der Volksvertretung ein sehr erfolgreiches Modell ist. Aus gutem Grund haben die Väter und Mütter des Grundgesetzes im Grundsatz auf plebiszitäre Elemente in der Verfassung verzichtet. Sowohl die große Stabilität als auch das hohe Maß an politischer Entscheidungsfähigkeit sprechen für unsere repräsentative Demokratie.

Mit freundlichen Grüßen

Clemens Binninger