Frage an Clemens Binninger von Jürgen K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Binninger,
das Wort "Überwachungsstaat" können Sie zur Zeit von vielen besorgten Bürger/innen, Juristen, Richtern, Journalisten oft hören. Ich möchte z.B. an die Großdemonstratation in Berlin erinnern, bei der 500.000 bis ca. 1.000.000 besorgte Demonstranten zum Thema Überwachung auf die Straße gingen.
Oder das Video-Dossier der Tagesschau: "Alltag Überwachung",
http://www.tagesschau.de/inlandalltagueberwachung2.html
Ich bin ein Staatsdiener wie Sie, und habe vor vielen Jahren einen Eid geschworen, die Verfassung zu schützen. Wenn ich heute die vielen besorgten Stimmen höre, dann ist es Zeit, kritische Fragen zu stellen.
Sie kennen sicherlich die Bedeutung des Wortes "Überwachungsstaat" genau, für den interessierten Leser/in hier der Link zu Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cberwachungsstaat
Beim Lesen dieser Definition vermeine ich, sehr unangenehme Parallelen zum Handeln unserer Regierung zu entdecken.
Ich möchte niemandem unterstellen, gezielt einen Überwachungsstaat aufzubauen. Unsere Geschichte lehrt uns jedoch, dass Regierungen wechseln, manchmal auch zum Schlechten hin. In den Händen einer schlechten Regierung sind die Werkzeuge, die Sie jetzt schaffen, ein sehr gefährliches Mittel. Unsere Verfassungsgründer haben sich durch ihre frische Erinnerung an eine furchtbare Diktatur einiges dabei gedacht, als sie die Verfassung so formuliert haben. Ein Aushöhlen der Verfassung, insbesondere der Bürger- und Freiheitsrechte, durch den Gesetzgeber, war dabei nicht geplant.
Hier meine Fragen:
Warum baut unsere Regierung derzeit mit Hochdruck die Mittel für einen möglichen Überwachungsstaat auf? Warum werden Gesetze erlassen, die die Grenzen unserer Verfassung anschneiden, und die dann erst vom Bundesverfassungsgericht richtiggestellt werden müssen? Kann es sein, dass unsere Regierung über das Ziel hinausschießt? Wie wollen Sie die "sachgerechte" Nutzung der Überwachungsmethoden durch künftige Regierungen garantieren?
Grüße
Jürgen Klausnitzer
Sehr geehrter Herr Klausnitzer,
wir haben uns im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens mit zahlreichen Bedenken und kritischen Meinungen auseinandergesetzt und uns mit Sachverständigen - darunter Rechtswissenschaftler, der BKA-Präsident Ziercke und der Bundesdatenschutzbeauftragte Schaar - über die Inhalte des Gesetzes beraten. Dabei haben auch die von Ihnen angesprochenen Punkte eine Rolle gespielt.
Man kann allerdings nur schwer den Eindruck gewinnen, dass es Ihnen um eine sachliche Auseinandersetzung mit der Thematik geht, wenn Sie in Ihrem Beitrag einerseits behaupten, dass Sie niemandem unterstellen, gezielt einen Überwachungsstaat aufzubauen und dann fragen, warum die Bundesregierung mit Hochdruck die Mittel für einen möglichen Überwachungsstaat aufbaut. Im Zusammenhang mit dem BKA-Gesetz von Überwachungsstaat zu sprechen, ist schlichtweg falsch und verbietet sich.
Es ist nicht zu leugnen, dass sich die Bedrohungslage in Deutschland mit dem internationalen Terrorismus verändert hat. Die Anschlagsversuche der letzten Jahre, aber auch die Tatsache, dass sich in Deutschland derzeit ein harter Kern von rund 100 islamistischen Gefährdern aufhält, die sich durch eine besondere Gefährlichkeit auszeichnen und bei denen davon ausgegangen werden muss, dass sie terroristische Straftaten begehen werden, verdeutlichen dies. Darüber hinaus findet eine rasante Veränderung im Bereich der Kommunikations- und Informationstechnologie statt. Die Beschaffung von Informationen und das Versenden von Nachrichten ist über Internet und Mobiltelefonie innerhalb kürzester Zeit von nahezu jedem Ort aus möglich. Genauso werden aber auch Personen von Extremisten über das Internet angeworben und fanatisiert, werden Bombenbauanleitungen elektronisch verschickt und Anschläge vorbereitet.
Beim BKA-Gesetz geht es vor diesem Hintergrund nicht um Maßnahmen, die flächendeckend bei jeder Straftat zum Einsatz kommen. Im Gegenteil: Es handelt sich um einen sehr begrenzten Einsatzbereich, bei dem hohe rechtstaatliche Hürden vorgesehen sind. Es geht angesichts dieser Entwicklungen darum, das BKA so aufzustellen, dass es auch zukünftig in der Lage ist, Sicherheit zu gewährleisten und um nichts anderes. Mit einem "Aushöhlen der Verfassung", wie Sie unterstellen, hat das nichts zu tun: Fast alle im BKA-Gesetz enthaltenen Kompetenzen sind nicht neu, sondern stehen seit langem in den Polizeigesetzen der Bundesländer. Nicht zuletzt haben wir uns bei der Formulierung des BKA-Gesetzes an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts orientiert und hohe rechtsstaatliche Hürden vorgesehen und bewusst dem Einsatz bestimmter Ermittlungsinstrumente enge Grenzen gesetzt.
Im Übrigen wird gerne vergessen, dass keines der Sicherheitsgesetze, die vom Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit beanstandet wurden, von den Innenpolitikern der Großen Koalition zu verantworten ist. Die beanstandeten Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung stammen von Bundesjustizministerin Zypries, die beanstandeten Regelungen zur Online-Durchsuchung aus dem FDP-geführten Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, das Luftsicherheitsgesetz noch aus der rot-grünen Regierungszeit.
Es handelt sich beim BKA-Gesetz um ein Gesetz mit Augenmaß, das die Frage von Sicherheit und Freiheit sehr ernst nimmt und nicht im Widerspruch zu unserem Grundgesetz oder Rechtsstaat steht, sondern dazu beiträgt, unsere Grundwerte und unseren Staat zu schützen. Es abzulehnen, hieße dem BKA die Instrumente für eine Aufgabe zu verweigern, die Bundestag und Bundesrat bei der Föderalismusreform ausdrücklich in Artikel 73 unserer Verfassung verankert haben. Auch deshalb gibt es zum BKA-Gesetz keine Alternative.
Mit freundlichen Grüßen
Clemens Binninger