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Frage von Marko N. •

Frage an Clemens Binninger von Marko N. bezüglich Öffentliche Finanzen, Steuern und Abgaben

Sehr geehrter Herr Binninger,

es ärgert es mich schon ein wenig, dass Sie meine letzte Frage - die erste die Ihnen gestellt wurde - einfach kommentarlos übersprungen haben. Obwohl es ja eigentlich Tradition ist, dass die Union unangenehmen Fragen aus dem Weg geht. Insbesondere dann, wenn es um die Glaubensfrage der neoliberalen Angebotsökonomie geht, weichen da ja alle Befürworter einer sachlichen, argumentativen Diskussion auf Phrasen aus, wie "wie wir alle wissen", "wie hinreichend bekannt ist", "es ist unbestritten, dass ..." und dergleichen mehr.

Aber vielleicht haben Sie ja auch nicht geantwortet, weil ich meine Behauptungen nicht ausreichend begründet habe. Ich will es daher noch einmal versuchen und Ihnen auch die entsprechenden Quellen benennen, sodass Sie meine Argumente nachvollziehen können. Vielleicht kann ich Sie ja so zu einem auf Fakten und Argumenten beruhenden Dialog bewegen.

Die Aussage, dass der Sozialstaat zu teuer sei, dass er die Lohnnebenkosten in die Höhe treibe, die Wettbewerbsfähigkeit einschränke und deswegen modernisiert werden müsse, kann man immer wieder hören und auch dem Programm der Union entnehmen. Zwischen den Zeilen kann man lesen, dass die Union, wenn sie Modernisierung sagt, eigentlich Abbau meint.

Dem Statistischen Taschenbuch 2003, herausgegeben vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziales, kann man der Verteufelung des Sozialstaates zum Trotz entnehmen, dass im Jahr 1999 (weiter reicht die Erhebung leider nicht), die gesamten Kosten der Sozialversicherung im relativen Anteil an den gesamten Arbeitskosten (also nur die Arbeitgeberanteile) je Stunde im produzierenden Gewerbe in Westdeutschland 23,5%, in Spanien 25%, in Frankreich 29,2%, in Belgien 30,8% und in Italien 31% betrugen. Dasselbe Ministerium war auch Herausgeber des "Sozialkompass Europa", Ausgabe 2003. Dieser Schrift kann man entnehmen, dass die deutschen Sozialversicherungs-Arbeitnehmerbeiträge im Jahre 2000 mit 28,2% den zweithöchsten Finanzierungsanteil innerhalb der EU-15-Länder hatten, die zusammen auf einen Durchschnitt von 22,4% kamen. Bei den Sozialversicherungs-Arbeitgeberbeiträgen freilich verhält es sich anders. Während der Finanzierungsanteil der deutschen Arbeitgeber bei 36,9% lag, kamen die EU-15-Länder im Durchschnitt auf 38,3%. In Frankreich liegt der Anteil gar bei 45,9%, in Italien bei 43,2%, Spanien bei 52,7% und Belgien bei 49,5%. Arme deutsche Wirtschaft!

Der am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft herausgegebene Studie "Deutschland in Zahlen 2003" kann man entnehmen, dass die absoluten Arbeitskosten je Stunde im verarbeitenden Gewerbe 2001 in den Niederlanden höher und in der Schweiz genauso hoch waren, wie in Gesamtdeutschland. Wie man all diesen Zahlen entnehmen kann, liegen wir Deutschen bei den Arbeitgeberanteilen für die Sozialversicherung und auch bei den Lohnstückkosten insgesamt auf einer günstigen Position innerhalb der europäischen Konkurrenz! Nicht umsonst sind wir Deutschen auch seit Jahren Exportweltmeister. Natürlich ist das kein Grund, sich in dieser Lage auszuruhen. Also gedenkt die Union, wie man ihrem Parteiprogramm entnehmen kann, Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen um jeweils 8 Milliarden Euro an den Sozialversicherungsbeiträgen zu entlasten. Das hört sich gut an, denn es würde natürlich im internationalen Vergleich unsere Spitzenposition weiter festigen. Doch leider möchte die Union diese Entlastung mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer auffangen. Finden Sie nicht auch, Herr Binninger, dass dies dem kleinen Mann gegenüber höchst ungerecht ist? Ist dieser doch gezwungen den größten Teil seines Lohnes zu verkonsumieren!

Ungeachtet all dessen tönt von den Wortführern der Wirtschaft immer wieder der Ruf nach der sogenannten Modernisierung des Sozialstaates, der aber bislang nichts anderes bedeutete, als ein in Eigenverantwortung gepackter Abbau der staatlichen Verantwortung und Zahlungspflicht. Damit nicht genug wurden der Wirtschaft Milliarden schwere Steuergeschenke gemacht. Vorgeblich wollte man damit die Investitionsbereitschaft erhöhen. Mit dem Gesetz vom 23.10.2000 drehte sich der Staat den Geldhahn der Körperschaftssteuer wieder ein wenig mehr zu. Damit verzichtete er von 2001 bis 2005 auf insgesamt 86 Milliarden Euro, wie man den Veröffentlichungen des Bundesministerium für Finanzen entnehmen konnte. Was bewirkten diese Steuergeschenke in der deutschen Wirtschaft? Brachten sie Investitionen? Nein! Senkten sie die Arbeitslosigkeit? Nein! Nun kann man dem Wahlprogramm der Union entnehmen, dass wieder einmal mehr die Körperschaftssteuer gesenkt werden soll. Ob das gerecht ist, ist die eine Frage. Interessieren würde mich vielmehr, ob Sie, Herr Binninger, wirklich der Meinung sind, dass dies in Anbetracht der zurückliegenden Erfahrungen Sinn macht!

Wie lange, Herr Binninger, soll diese Umverteilung von unten nach oben, deren Ergebnisse Sie zahlenmäßig dem 2. Bericht der Bundesregierung über Armut und Reichtum in Deutschland entnehmen können, noch weitergeführt werden? Was denken Sie, wie lange der Binnenmarkt das weiter durchstehen kann? Was glauben Sie, Herr Binninger, wie lange es noch dauern wird, bis wieder Steine und Brandsätze fliegen?

Vielleicht antworten Sie ja dieses Mal!

Mit freundlichen Grüßen
Marko Neuwirth

Portrait von Clemens Binninger
Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Neuwirth,

Ihre Frage wurde nicht übergangen; vielmehr kann es bei "kandidatenwatch" offensichtlich schon mal passieren, dass man keine Email-Benachrichtigung über neue Fragen erhält und diese erst durch Eigenrecherche entdeckt.

Nun zu Ihrer Frage:

1998 wollte sich Gerhard Schröder an der Senkung der Arbeitslosigkeit messen lassen. Damals waren 3,9 Millionen Menschen ohne Arbeit. Heute sind über 5 Millionen Menschen arbeitslos. Über 1.000 Arbeitsplätze gehen täglich verloren! Und was macht Schröder? Er gibt auf: "Wir haben jedenfalls mit der Arbeitsmarktreform unser Möglichstes zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit getan." (Stern, 29.12.2004). Die von Schröder eingeleiteten Reformen, die Sie als „neoliberal“ geißeln, haben allerdings eine entscheidende Schwäche: Sie ändern kaum etwas an den immer noch viel zu hohen Kosten für den Faktor Arbeit in unserem Land.

Das ist fatal. Deshalb ist unser wichtigstes Ziel: Arbeit schaffen. Denn: Sozial ist, was Arbeit schafft. Wenn wir jetzt die notwendigen Veränderungen am Arbeitsmarkt anpacken, können wir die Wende schaffen. Nur wenn der Arbeitsmarkt wieder in Schwung kommt, kann es gelingen, die Staatsfinanzen zu konsolidieren und die sozialen Sicherungssysteme zu stabilisieren.

Eine entscheidende Voraussetzung für mehr Arbeit ist, dass die Arbeit in Deutschland wieder kostengünstiger wird. Unsere im internationalen Vergleich hohen Lohnzusatzkosten vertreiben die Arbeitsplätze ins Ausland und verhindern, dass bei uns neue Arbeitsplätze entstehen. In den 60er Jahren lagen die Lohnzusatzkosten bei 25 Prozent, heute betragen sie 42 Prozent des Bruttolohnes. Kostengünstigere Arbeit bedeutet, geringere Lohnnebenkosten, deshalb wollen wir die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung senken.

Seit mehr als 20 Jahren sind in Deutschland die tariflich vereinbarten Arbeitszeiten ständig kürzer geworden: Die 35-Stunden-Woche hat definitiv keine Arbeitsplätze geschaffen. Im Gegenteil. Deshalb fordern wir eine längere Wochen- aber auch eine längere Lebensarbeitszeit.

Das von uns geforderte Ziel, Arbeit in Deutschland preiswerter zu machen und gleichzeitig ein Hochlohnland zu bleiben, kann nur über den o. g. Weg gelingen. Nachbarn wie Österreich haben uns das längst vorgemacht. Ich bin fest davon überzeugt, dass längere Arbeitszeiten und geringere Lohnnebenkosten zu Investitionen in die Wirtschaft unseres Landes führen. Investitionen, die Arbeitsplätze schaffen, die in den vergangenen Jahren aus eben diesen Gründen im Ausland geschaffen wurden, oder noch schlimmer, dorthin verlagert wurden. Mehr Arbeitplätze in Deutschland bedeutet weniger Arbeitslose, das bedeutet Stärkung des Binnenmarktes.

Für Rückfragen bitte zukünftig entweder direkt an
clemens-binninger@bundestag. de oder telefonisch unter 030/22777255

Mit freundlichen Grüßen

Clemens Binninger