Frage an Clemens Binninger von Winfried W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Binninger,
wie Sie bestimmt wissen, hat das Bundesjustizministerium gegen bestehende Gesetze verstoßen und illegal die Daten der Besucher der Webseite des Ministeriums gespeichert. Das Bundeskriminalamt unter der Leitung des Herr Ziercke hat dem noch eins drauf gesetzt und zum Teil die Besucher seiner Webseite per Anfrage bei Telekommunikationsunternehmen mit Namen und Anschrift identifizieren lassen [1].
1. Wenn schon oberste Bundesbehörden und Ämter ihre eigenen Gesetze mißachten und zum Nachteil der Bürger illegal und ohne Unrechtsbewußtsein deren Daten erheben, speichern und weiterverarbeiten, wie möchten Sie dann sicherstellen, daß die Daten aus der Vorratsdatenspeicherung nicht ebenso mißbraucht werden, wenn diese doch schon von einfachen Polizeibeamten abgerufen werden können und der Richtervorbehalt seine Schutzfunktion erwiesenermaßen [2] nicht erfüllt?
2. Wie bewerten Sie die beschriebenen Rechts- und Vertrauensbrüche des Bundesjustizministeriums und des Bundeskriminalamtes hinsichtlich der Bemühungen eben jener Behörden, das Vertrauen der Bürger in Ihre Maßnahmen zu gewinnen?
3. Halten Sie es ebenso wie Herr Wiefelspütz für Verschwörungstheorien, wenn besorgte Bürger angesichts solcher Vorkommnisse davon ausgehen, daß die zufällig entdeckten Rechtsbrüche eigentlich nur die Spitze des Eisberges sind und Datenmißbrauch in den Behörden gängige Praxis ist?
4. Glauben Sie, daß die Ankündigung des Bundesinnenministers, heimliche Online-Durchsuchungen durchzuführen und dabei Software einzusetzen, wie sie bis jetzt nur von Kriminellen benutzt wurde, das Vertrauen der Bürger a) in das Medium Internet und b) in die Online-Angebote der Behörden eher stärkt oder schwächt?
Mit freundlichen Grüßen
Winfried Wacker
[1]
http://www.sueddeutsche.de/,tt5m2/computer/artikel/902/135638/
[2]
http://www.datenschutz-berlin.de/jahresbe/03/anl/431d6.pdf
Sehr geehrter Herr Wacker,
vielen Dank für Ihre Fragen vom 15. November zu den Themen Vorratsdatenspeicherung und Online-Durchsuchung. Gerne beantworte ich sie.
Lassen Sie mich vorab zwei Bemerkungen machen: (1) Spätestens seit den gescheiteren Anschlägen auf zwei Züge im Sommer 2006 und den aufgedeckten Anschlagsversuchen im September dieses Jahren im Sauerland wird niemand mehr bestreiten, dass auch Deutschland im Visier des internationalen Terrorismus ist. (2) Terroristische Netzwerke haben ihr Kommunikationsverhalten geändert. Gleichgültig ob es darum geht, Personen für die Terrorszene anzuwerben, sie zu fanatisieren, Bauanleitungen für Bomben weiterzugeben oder Anschlagsziele vorzugeben, das Internet spielt eine immer wichtigere Rolle. So etwa auch bei den verheerenden Anschlägen von Madrid im Jahr 2004, in deren Gefolge die EU die sog. Vorratsdatenspeicherung in einer Richtlinie festgeschrieben hat, die wir in Deutschland – im übrigen in einer abgeschwächten Form – vor einigen Wochen in nationales Recht umgesetzt haben.
Vor diesem Hintergrund ist immer eine schwierige Abwägung zwischen informationeller Selbstbestimmung einerseits und der Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität andererseits zu treffen. Deshalb ist die Debatte richtig und wichtig – auch wenn unterschiedliche Auffassungen existieren.
Damit komme ich auch zu Ihrer ersten Frage: Bereits heute speichern Telekommunikationsunternehmen eine Reihe von Verbindungsdaten v. a. zu Abrechnungszwecken. Nach der Strafprozessordnung müssen diese Unternehmen auch heute schon den Strafverfolgungsbehörden Auskunft erteilen, wenn es sich um die Verfolgung schwerer Straftaten oder solcher Straftaten, die mittels Telekommunikation begangen wurden, handelt. Es gibt eine Reihe hoher Hürden, die aus meiner Sicht die Verhältnismäßigkeit bei der neu beschlossenen Vorratsdatenspeicherung gewährleistet und dem Missbrauch vorbeugt: Die Inhalte der Kommunikation werden auch mit der neuen Regelung zur Vorratsdatenspeicherung nicht erfasst. Auch wird auf die Daten, die ausschließlich bei den Telekommunikationsunternehmen gespeichert sind, nur im Einzelfall und konkretem Verdacht auf Verbrechen und nur mit richterlicher Genehmigung zugegriffen. Die erfassten Daten werden auch nur für sechs Monate gespeichert – die EU-Richtlinie hatte hier einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren vorgesehen.
Ihre zweite Frage spricht einen Komplex an, in dem mit der neuen Regelung zur Vorratsdatenspeicherung auch mehr Rechtsklarheitschaffen wird. Es ist richtig, dass dem Bundesjustizministerium – mittlerweile auch in zweiter Instanz – untersagt wurde, die IP-Adressen von Besuchern seiner Homepage zu speichern. Diese Daten wurden bisher v. a. aus Statistikgründen gespeichert, aber auch um effektiv auf Angriffe aus dem Internet reagieren zu können. Das ist eine notwendige und auch vorbeugende Schutzmaßnahme gerade bei Internetseiten, die behördliche, offizielle Informationen zur Verfügung stellen. Aus diesem Grund verfährt eine ganze Reihe von Bundesbehörden auf diese Weise. Allerdings wird auch hier gerade geprüft, wie sich die Rechtsprechung auf diese Praxis auswirkt.
Sie sprechen auch das BKA an. Das BKA hat in der Tat eine gesonderte Seite in seinem Internetangebot (Stichwort: Militante Gruppe) eingerichtet und eine anlassbezogene Speicherung von IP-Adressen der Besucher vorgenommen. Dieses Verfahren beruht auf der Erfahrung, dass sich Täter gerade bei Straftaten, die ein großes öffentliches Interesse geweckt haben, regelmäßig über den Fortgang der Ermittlungen informieren. In solchen Fällen bewahrt nach Angaben des Innenministeriums die Strafverfolgungsbehörde die Netzkennungen unter Berufung auf die allgemeine Ermittlungsbefugnis aus den Paragraphen 161 und 163 Straßprozessordnung http://www.gesetze-im-internet.de/stpo auf. Die Generalbundesanwaltschaft hat dieses Vorgehen – wie Sie vielleicht wissen – gestützt.
Was Ihre dritte Frage angeht: Ich bin der Meinung, dass die aktuell diskutierten und beschlossenen Maßnahmen nüchtern betrachtet werden sollten. Es werden eben nicht alle Bürger mit der Vorratsdatenspeicherung oder der Online-Durchsuchung unter Generalverdacht gestellt, wie oft der Eindruck erweckt wird. Die Ermittlungsinstrumente werden vielmehr in einer sehr begrenzten Zahl von Fällen und nur mit hohen rechtsstaatlichen Hürden eingesetzt werden können.
Ich bin vor diesem Hintergrund auch nicht der Meinung, dass etwa die Online-Durchsuchung das Vertrauen der Menschen in das Medium Internet oder die Angebote der Behörden schwächt. Maßnahmen wie die Online-Durchsuchung sind kein Selbstzweck. Die Aktivitäten des Terrorismus und der organisierten Kriminalität verändern sich mit modernen Kommunikationsmöglichkeiten. Hier muss man auch umgekehrt fragen: Stärkt es wirklich das Vertrauen der Menschen, wenn wir den Ermittlungsbehörden nicht die notwendigen Instrumente an die Hand geben, um auf das veränderte Kommunikationsverhalten etwa von Terroristen angemessen regieren zu können?
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meinen Ausführungen weiter helfen. Gestatten Sie mir abschließend noch den Hinweis, dass Sie mich auch direkt per Mail unter clemens.binninger@bundestag.de erreichen können. Informationen über meine Arbeit finden Sie auf meiner Homepage (www.clemens-binninger.de). Dort finden Sie auch meine übrigen Kontaktdaten.
Mit freundlichen Grüßen
Clemens Binninger