Frage an Clemens Binninger von Anja D. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Binninger,
ich bin etwas -genauer gesagt doppelt- überrascht, das die Klage betreffend der Satire von Herrrn Böhmermann zugelassen wurde. Doppelt, weil eigendlich niemand in unser Strafgesetzbuch gesehen hat:
Strafgesetzbuch (StGB)
§ 103 Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten
(1) Wer ein ausländisches Staatsoberhaupt... das sich in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält, oder einen im Bundesgebiet beglaubigten Leiter einer ausländischen diplomatischen Vertretung beleidigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe, im Falle der verleumderischen Beleidigung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
Da sich Herr Erdogan nicht offiziel in der BRD aufgehalten hat, ist die nun geschehene Strafvervollgungszulassung nicht mit unserem STGB vereinbar.
Warum wurde nicht einfach auf diesen Paragraphen verwiesen und damit hat sich die Sache?
Eine weitere Bedingung zur Zulassung wurde ebenfalls nicht erfüllt:
"Hierzu ist Voraussetzung, dass die Bundesrepublik Deutschland diplomatische Beziehungen zu dem betroffenen Staat unterhält, die Rechtsvorschrift dort auf Gegenseitigkeit trifft..."
Da Herr Erdogan selber öfters heftige Beleidigungen auch gegen Mitglieder anderer Regierungen ausspricht, kann von einer Gegenseitigkeit ja nicht die Rede sein. Allerdings genügt ja schon der §103.
Können Sie mir das Bitte erklären?
Mit den besten Grüßen,
Anja Dinter
Sehr geehrte Frau Dinter,
vielen Dank für Ihre Anfrage, die ich gerne beantworte.
Erlauben Sie mir zunächst den Hinweis, dass die Bundesregierung lediglich die Ermächtigung zur Strafverfolgung gemäß § 104a StGB erteilt hat. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft und prüft, ob ein Verstoß gegen § 103 StGB vorliegt. Sollte sich die Staatsanwaltschaft nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens dazu entschließen, Anklage zu erheben, wird nicht die Bundesregierung, sondern ein Gericht über die Zulassung der Anklage sowie die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheiden. Zu Ihrem ersten Einwand: Sie dürfen davon ausgehen, dass sich die Bundeskanzlerin und die zuständigen Minister sehr genau mit den einschlägigen rechtlichen Regelungen befasst und sämtliche Handlungsoptionen geprüft haben. Da Sie § 103 Abs. 1 StGB nur unvollständig zitieren, führe ich noch einmal den kompletten Text an:
„Wer ein ausländisches Staatsoberhaupt oder wer mit Beziehung auf ihre Stellung ein Mitglied einer ausländischen Regierung, das sich in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält, oder einen im Bundesgebiet beglaubigten Leiter einer ausländischen diplomatischen Vertretung beleidigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe, im Falle der verleumderischen Beleidigung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“
Der Passus „das sich in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält“ bezieht sich also ganz eindeutig nur auf Mitglieder ausländischer Regierungen aber nicht auf ausländische Staatsoberhäupter, die unabhängig von ihrem Aufenthalt geschützt sind. Die Entscheidung der Bundesregierung folgt daher dem Strafgesetzbuch und ist selbstverständlich damit vereinbar.
Zu Ihrem zweiten Einwand: Der Begriff der Gegenseitigkeit in § 104a StGB bezieht sich darauf, ob im umgekehrten Fall wenn also in der Türkei der deutsche Bundespräsident beleidigt werden würde im türkischen Recht eine Regelung analog unserem § 103 StGB greifen und der Täter verfolgt werden würde. Weil mit Art. 340 des türkischen Strafgesetzbuchs eine entsprechende Regelung vorliegt, ist das Prinzip der Gegenseitigkeit verbürgt.
In Deutschland werden jährlich mehr als 200.000 Beleidigungsdelikte zur Anzeige gebracht und im Rahmen unserer Rechtsordnung verfolgt. Immer wieder haben Gerichte in diesem Zusammenhang Persönlichkeitsrechte und andere Belange gegen Kunst- und Meinungsfreiheit abzuwägen. Wie in allen anderen Fällen gilt auch im Fall von Herrn Böhmermann, dass die Gerichte das frei von politischer Einflussnahme tun werden, sofern es überhaupt zur Anklageerhebung kommt. Mit einem solchen rechtsstaatlichen Verfahren senden wir auch ein Signal in Richtung Türkei.
Mit freundlichen Grüßen
Clemens Binninger