Frage an Clemens Binninger von Stefan C.
Sehr geehrter Herr Binninger,
wie erklären Sie mir die eben beschlossenen Vorratsdatenspeicherung, also der grundlosen Überwachung unserer Kommunikationsbeziehungen (wann mit wem telefoniert, wann mit wem gemailt, Erfassung der Bewegungsdaten durch die Mobiltelefon-Standortdaten) für mehrere Wochen, damit ich mich nicht wie ein Schwerverbrecher verfolgt und überwacht fühle?
Und wie kann darauf vertraut werden, dass diese sehr privaten Daten nicht missbraucht werden (sowohl von staatlicher Seite als auch von kriminellen Hackern, die die Daten abgreifen könnten).
Ich fühle mich sehr unwohl, wenn mein eigener Staat zu einer orwellschen Dystopie mutiert und frage mich, welche Auswirkung diese Angst des Staats vor seinen Bürgern im Verhältnis und Vertrauen der Bürger zu ihrem Staat haben wird.
Sehr geehrter Herr Caliandro,
vielen Dank für Ihre Frage zur Vorratsdatenspeicherung, die ich gerne beantworte.
Wegen der Vorratsdatenspeicherung von „Überwachung“ und „Angst des Staates“ zu sprechen, ist einigermaßen abwegig. Das kürzlich verabschiedete Gesetz sieht gerade nicht vor, alle anfallenden Daten wahllos zu speichern, sondern bezieht sich lediglich auf Teile der Verbindungsdaten. Kommunikationsinhalte, aufgerufenen Internetseiten und E-Mail-Daten werden ganz explizit von der Speicherpflicht ausgenommen. Hinzu kommt, dass die Verbindungsdaten nicht von staatlichen Stellen gespeichert werden, sondern dort, wo sie auch heute schon gespeichert werden, nämlich dezentral bei den Telekommunikationsunternehmen. An den Datenschutz werden dort sehr hohe gesetzliche Anforderungen gestellt, dass kein Unbefugter auf die Daten zugreifen kann.
Staatliche Ermittlungsbehörden sind nur bei besonders schweren Straftaten (z.B. Terrorismus, Mord, Menschenhandel, Kinderpornographie) unter sehr engen Voraussetzungen dazu befugt, auf die Verbindungsdaten zuzugreifen. Erforderlich ist dafür ein richterlicher Beschluss. Der Betroffene erhält außerdem Rechtschutzmöglichkeiten, wenn seine Verbindungsdaten abgerufen werden und er sich dagegen zur Wehr setzten möchte. Für Verbindungsdaten von Berufsgeheimnisträgern (Ärzte, Geistliche, Journalisten) gilt darüber hinaus ein umfassendes Verwertungs- und Verwendungsverbot. Durch all diese Regelungen wird sowohl technisch als auch rechtlich sichergestellt, dass es zu keiner flächendeckenden Überwachung oder Rasterfahndung kommt, sondern die Ermittlungsbehörden nur in begründeten Fällen auf bestimmte Verbindungsdaten einzelner Personen zurückgreifen können.
Die immer wieder erhobene Behauptung, die Vorratsdatenspeicherung wäre grundsätzlich verfassungswidrig ist falsch. Das Bundesverfassungsgericht betont in seiner Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung vom 2. März 2010 vielmehr: „Eine sechsmonatige anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten für qualifizierte Verwendungen im Rahmen der Strafverfolgung, der Gefahrenabwehr und der Aufgaben der Nachrichtendienste, wie sie die §§ 113a, 113b TKG anordnen, ist danach mit Art. 10 GG nicht schlechthin unvereinbar. Der Gesetzgeber kann mit einer solchen Regelung legitime Zwecke verfolgen, für deren Erreichung eine solche Speicherung im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geeignet und erforderlich ist.“
Das Max-Planck-Institut hat die Bedeutung der Vorratsdatenspeicherung wissenschaftlich untersucht. Seine Studie belegt, dass sowohl Polizei als auch Staatsanwaltschaft und Gerichte einhellig unterstreichen, dass das Fehlen der Vorratsdatenspeicherung ihre Arbeit vor erhebliche Probleme stellt. Das BKA berichtet von zahlreichen Fällen, bei denen der einzige erfolgversprechende Ermittlungsansatz eine IP-Adresse war: Dazu gehören beispielsweise Amok- und Suizidankündigungen in Internetforen, der Download von Kinderpornographie sowie der Austausch über Kindesmissbrauch in Chats. Weil den jeweiligen IP-Adressen kein Anschlussinhaber zugeordnet werden konnte, liefen die Ermittlungen ins Leere. Dabei handelt es sich wohlgemerkt um Fälle aus der polizeilichen Praxis und nicht um konstruierte Beispiele. Ich halte die Vorratsdatenspeicherung insbesondere aufgrund dieser Fälle für notwendig und habe dem Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag zugestimmt.
Mit freundlichen Grüßen
Clemens Binninger