Frage an Clemens Binninger von Tom W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Binninger,
ich habe mich in letzter Zeit intensiv mit dem Flüchtlingsthema auseinandergesetzt . Ich muss zugeben das mich die zunehmender Zahl an Asylanten doch sehr beunruhigt , da ich mir sorgen mache , dass wir damit das Deutschland , welches ich kenne , und auf welches ich auch sehr stolz bin zugrunde richten könnten .
Denn auch wenn Deutschland ein sehr wirtschaftsstarkes Land sind , denke ich nicht dass wir eine unbegrenzte Anzahl an Flüchtlingen aushalten können.
Desweiteren muss ich sagen , dass das benehmen der Asylanten doch sehr zu wünschen übrig lässt.
Mir wurde von klein auf beigebracht , dass wir ein Demokratisches land sind , und dass Demokratie darauf beruht , dass das Volk die Entscheidungen trifft , beziehungsweise deren gewählte Vertreter . Allerdings musste ich zu meinem bedauern feststellen , dass ich an keiner Abstimmung über das Weitere Verfahren mit den Asylanten teilnehmen konnte , und ich auch sonst keinerlei Möglichkeiten finden konnte , Einfluss zu nehmen .Denn auch die Volksvertreter wurden zu einer Zeit gewählt , als dieses Problem noch nicht existiert hat und ich würde vielleicht ganz anders wählen wenn ich nun sehe welche Entscheidungen so mancher trifft , die überhaupt nicht mehr auf meiner Meinung beruhen . Es scheint fast so , als würde die Deutsche Regierung hier auf eigene Faust regieren und das Volk nicht mal mehr fragen . Auch unter den Abstimmungen des Deutschen Bundestags konnte ich keine Abstimmung zu diesem Thema finden .
Jetzt zu meiner frage , wer entscheidet hier momentan überhaupt darüber wie mit den Flüchtlingen umgegangen wird und wie viele wir aufnehmen , wenn nicht das Volk ? Und kann man dass dann überhaupt noch als Demokratie verstehen ?
Sehr geehrter Herr Winklemann,
haben Sie Dank für Ihre Anfrage.
Volksabstimmungen spielen auf Bundesebene tatsächlich eine untergeordnete Rolle. Ich denke nicht, dass nur eine plebiszitäre Demokratie eine „wahre“ Demokratie ist. Gerade die Bundesrepublik Deutschland beweist, dass ein System der Volksvertretung ein erfolgreiches Modell ist. Sowohl die große Stabilität als auch das hohe Maß an politischer Entscheidungsfähigkeit sprechen für unsere repräsentative Demokratie. Zudem sind in einem solchen System die Politiker direkt in der Verantwortung. Bei Volksentscheiden besteht die Gefahr, dass die Politik sich bei unangenehmen Fragen ihrer Verantwortung entledigt. Wichtig ist in meinen Augen auch die schon von unserem ersten Bundespräsidenten vorgetragene Warnung, dass Volksbefragungen schnell zur „Prämie für Demagogen“ werden können. Vor einigen Jahren habe ich auch schon auf Abgeordnetenwatch.de ausführlich zu dem Thema Volksabstimmung Stellung genommen und verweise Sie gerne auch darauf (Link http://www.abgeordnetenwatch.de/clemens_binninger-650-5663.html#questions).
Der Bundestag beschäftigt sich auch, anders als von Ihnen ausgeführt, regelmäßig mit Asyl- und Flüchtlingsthemen. In den vergangenen Monaten hat der Deutsche Bundestag u.a. über die Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und die Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Ausländer (http://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?start=%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl114s1649.pdf%27%5D#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl114s1649.pdf%27%5D__1442488012947) abgestimmt, ebenso wie über das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (http://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&start=//*%255B@attr_id=%27bgbl115s1386.pdf%27%255D#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl115s1386.pdf%27%5D__1442488349443).
Fakt ist, die aktuelle Flüchtlingskrise ist eine der größten innen- und außenpolitischen Herausforderungen unserer Zeit. Sie zu bewältigen ist eine Gemeinschaftsaufgabe und betrifft Bund, Länder und Kommunen ebenso wie die gesamte Europäische Union. Deswegen müssen politische Entscheidungen auch auf allen diesen Ebenen getroffen werden. Eine gemeinsame europäische Asylpolitik ist dafür unerlässlich. In Europa können nämlich nicht dauerhaft nur einige wenige Staaten, darunter Deutschland und Schweden, einen Großteil der Flüchtlinge aufnehmen. Deswegen begrüße ich, dass sich die Bundesregierung mit Nachdruck dafür einsetzt, dass die Europäische Union Quoten etabliert, nach der die Verteilung der Flüchtlinge auf alle europäischen Staaten angestrebt wird. Auch weitere Maßnahmen, wie die Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsländer, gilt es, zügig umzusetzen.
Ich nehme die Sorgen und Ängste der Bürgerinnen und Bürger, die mich in der letzten Zeit erreicht haben, durchaus ernst, muss aber auch sagen: Angst ist ein schlechter Ratgeber. Ich kann deshalb auch nur davor warnen, mit Pauschalierungen wie „(…) das Benehmen der Asylanten [lässt] doch sehr zu wünschen übrig (…)“ zu hantieren. Angesichts der vielen Menschen, die vor Krieg und Verfolgung nach Europa geflohen sind, ist es dringend notwendig, darüber nachzudenken, wie wir diese Menschen am besten in unsere Gesellschaften integrieren können, denn sie werden voraussichtlich längere Zeit bei uns bleiben. Da sollten wir uns nicht von Ängsten leiten lassen. Richtig ist aber auch, dass die Flüchtlinge unsere Rechtsordnung zu akzeptieren haben. Wer hierher kommt und Straftaten begeht, missbraucht sein Gastrecht.
Mit freundlichen Grüßen
Clemens Binninger