Frage an Clemens Binninger von Petra M. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Binninger,
Sie sind in analytischer Betrachtungsweise ausgebildet.
Tatsächlich in Griechenland nach der Wahl geht es nicht rein um den Schuldenschnitt oder nur um die Sparpolitik der Troika. Es bringt auch nichts, in Europa auf dieses oder jenes Land zu zeigen (Italien, Frankreich) um die verheerende Antiwachstumspolitik fortzuführen-was uns in Europa alle eint, ist die zunehmende Schere in Einkommen und Vermögen, was dazu geführt hat, dass die Realwirtschaft nicht mehr wachsen kann. Vor etwa 2 Jahren hat die EU Deutschland aufgefordert, die Binnenwirtschaft zu stärken. Natürlich ist das nicht erfolgt. Lassen wir uns aber bei Deutschland bleiben. Etwa 3,5 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitsnehmer können nicht von ihrem Arbeitslohn leben. Was passiert-der Steuer- und SV-Zahler wird belastet, was eine weitere Enteignung des Mittelstands bedeutet-weil die Belastung ja nicht in eine nicht vorhandene Vermögenssteuer oder abgesenkten Grenzsteuersatz im Einkommen erfolgt. Nein, die Belastung erfolgt direkt an die Unter- und Mittelschicht in Krankenkassenreformen, Mehrwertsteuer (Massensteuer), Rentenreform usw. Jeder Volkswirt, der sich noch mit normativer Finanzwissenschaft auskennt kann sich da nur noch die Haare raufen. Jeder Volkswirt, der einigermaßen in der Lage ist, komplex zu denken, auch in einer offenen Volkswirtschaft, kann sich nur die Haare raufen. Der während meines Studiums von mir hochverehrte Paul Krugman, den ich vor seinem Nobelpreis permanent in meinen Arbeiten verarbeitet habe, ist ein großer Unterstützer der Arbeit von Thomas Piketty: Das Kapital im 21. Jahrhundert. Ich kann diese Arbeit nur weiterempfehlen. Daher ist entgegen dem Medien-/Politiker-/Troika-Mainstream die Frage erlaubt, ob die Wahl in Griechenland nicht eher eine Chance für Europa ist, als eine Last-weil diese Regierung sich traut, Vermögen, was auf Kosten des Steuerzahlers erlangt worden ist, abzuschöpfen?
Beste Grüße
Petra Merkel
Sehr geehrte Frau Merkel,
haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage, die ich gerne beantworte.
Ihrer Einschätzung, dass die Realwirtschaft nicht mehr wachsen könne, teile ich nicht. Ein wichtiger Wachstumsfaktor ist der technische Fortschritt. In einem innovativen Land wie Deutschland können wir vor allem durch technischen Fortschritt Wirtschaftswachstum erreichen. Dabei denke ich an innovative Unternehmen in meinem Wahlkreis wie Porsche, Daimler, IBM und HP und die zahlreichen mittelständischen Zulieferbetriebe. Dort profitieren auch die Arbeitnehmer von der positiven wirtschaftlichen Entwicklung oder sind zum Teil auch als Aktionäre selbst an den Unternehmen beteiligt.
Sie sprechen insbesondere die Lage in Griechenland an. Dort ist es tatsächlich so, dass besonders die Unter- und Mittelschicht unter der wirtschaftlichen Misere leidet. Hauptproblem ist die hohe Arbeitslosigkeit in Verbindung mit einem schwachen staatlichen Sozialsystem. Von dem was wir in Deutschland unter sozialer Marktwirtschaft verstehen, ist Griechenland sehr weit entfernt. Nun für positive Veränderungen zu sorgen, ist Aufgabe des griechischen Parlaments und der griechischen Regierung. Griechenland ist ein souveräner Staat und hat selbst darüber zu entscheiden, wie ein sozialer Ausgleich innerhalb des Landes aussehen soll. Ich bin gespannt darauf, wie die neue griechische Regierung ihre Wahlversprechen umsetzen wird.
Das Versprechen der sozialen Marktwirtschaft lautet Wohlstand für alle. Diesem Versprechen will Piketty vor allem durch Umverteilung einlösen. Davon halte ich wenig. In meinen Augen ist die Förderung von Wirtschaftswachstum die bessere Alternative, um breiten Bevölkerungsschichten die Teilhabe am Wohlstand zu ermöglichen. Deshalb halte ich Investitionen in Bildung und Forschung für eine zentrale wirtschaftspolitische Aufgabe. Der Bund hat seit dem Regierungsantritt von Angela Merkel 2005 jedes Jahr seine Ausgaben für Bildung und Forschung erhöht. Ich bin davon überzeugt, dass sich der daraus resultierende technische Fortschritt auf lange Sicht für alle gesellschaftlichen Gruppen auszahlen wird.
Mit freundlichen Grüßen
Clemens Binninger