Frage an Clemens Binninger von Katja R. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Binninger,
vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort, aber es bleiben immer noch Fragen offen.
Warum sollte denn die Politik nicht den Mindestlohn festlegen? Das wäre aus meiner Sicht ganz einfach. Die Arbeit von 40 Jahren und jeweils 40 Stunden muss deutlich über der Mindestsicherung im Alter liegen.
Die Beispiele der Nachbarländer, welche längst Mindestlöhne haben, zeigen, das keine Populisten an die Macht kommen, wenn es einen verbindliche Lohnuntergrenze gibt.
Ich arbeite in der Schweiz, lebe und zahle Steuern aber in Deutschland. In der Schweiz gibt es seit geraumer Zeit Mindestlöhne, die auch von keiner Partei als Wahlkampfmittel eingesetzt werden, sondern einfach im Konsens entstanden sind.
Alle empirischen Untersuchungen zeigen, das ein Mindestlohn keine Arbeitsplätze kostet, wobei ich auf einige der mies bezahlten Jobs gerne verzichten würde.
Es gibt auch einen ganz handfesten pragmatischen Grund, die Löhne deutlich steigen zu lassen, wenn wir die Binnenkonjunktur ankurbeln wollen. Warum sollten denn die Unternehmen sonst die Produktivität und Innovation erhöhen wollen, wenn sie mit den gleichen alten Waren bei immer weiter sinkenden Löhnen mehr oder gleich viel Gewinn erwirtschaften können?
Schon allein aus dem Grund, das Deutschland weiter auf Export setzt, muss die Industrie deutlich gefordert werden, in Punkto Innovation und Produktivität besser zu werden anstelle von Erpressung der Belegschaft.
Die Gewerkschaften sind leider nicht mehr in der Position, die sie haben müssten, um armutsfeste Lohnabschlüsse zu fordern. Deswegen nur nicht tariflich gebundene Branchen in den Mindestlohn einzubeziehen, ist etwas kurz gedacht, denn es gibt auch 5-6 Euroabschlüsse mit Gewerkschaften.
Warum ist denn die Lohnuntergrenze noch nicht verabschiedet, wenn es schon seit 2 Jahren den Beschluss gibt? Das es jetzt bis nach der Wahl verschoben wird, macht Ihre Position nicht glaubwürdiger.
Ich freue mich auf eine Antwort
MfG
Katja Rauschenberg
Sehr geehrte Frau Rauschenberg,
ich bedanke mich für Ihre Nachfragen vom 6. Juni 2013 und gehe auch gerne darauf ein.
Einen guten Überblick über empirische Untersuchungen zur Beschäftigungswirkung von Mindestlöhnen bietet ein Aufsatz von Christian Ragacs ( http://www.wu.ac.at/inst/vw1/gee/papers/gee!wp25.pdf ). Er kommt in seiner Überblicksdarstellung zu folgendem Ergebnis: „Neben negativen Beschäftigungswirkungen ist auch Evidenz für keine oder sogar für positive Beschäftigungswirkungen zu finden.“ Davon, dass alle Untersuchungen zu dem selben Ergebnis kommen, kann also keine Rede sein. Vielmehr ist die Wirkung von Mindestlöhnen unter Wirtschaftswissenschaftlern höchst strittig. Deshalb reichen empirische Untersuchen als Entscheidungsgrundlage für die Politik nicht aus.
In meinen Augen sind Produktivitätssteigerungen nicht die Folge, sondern vielmehr die Voraussetzung für Lohnerhöhungen. Wenn Unternehmen innovativ sind und durch neue Methoden ihre Produktivität erhöhen, können sie ihre Einnahmen steigern. Von diesen Mehreinnahmen profitieren einerseits die Arbeitnehmer durch Lohnsteigerungen und andererseits die Arbeitgeber durch höhere Gewinne. Für viele exportorientierte Unternehmen in Deutschland spielt die Binnennachfrage in diesem Zusammenhang nur eine geringe Rolle, weil ihr Absatzmarkt die ganze Welt ist.
Ob Mindestlöhne einen positiven konjunkturellen Effekt haben, lässt sich nicht eindeutig vorhersagen. Wenn durch Mindestlöhne einerseits Arbeitsplätze verloren gehen, also die Gesamtzahl der Arbeitsplätze sinkt, andererseits aber die Arbeitnehmer auf den verbleibenden Arbeitsplätzen mehr Geld verdienen, kann sich die Lohnsumme positiv oder negativ mit entsprechenden konjunkturellen Effekten verändern. Auch wenn Mindestlöhne dazu führen, dass die Lohnsumme steigt, kurbelt das die Binnenkonjunktur nicht unbedingt an, weil Unternehmen die steigenden Lohnkosten unter Umständen durch Kürzungen bei den Investitionsausgaben gegenfinanzieren.
Weil sich die Auswirkung von Mindestlöhnen auf Konjunktur und Beschäftigung nicht eindeutig vorhersagen lässt, lehne ich es ab, Konjunkturpolitik über die politische Festsetzung von Mindestlöhnen zu betreiben. Politische Mindestlöhne sind auch falsch, weil sie in die Tarifautonomie unserer Verfassung aus Art. 9 Abs. 3 GG eingreifen, was die ordnungspolitische Problematik deutlich macht. Es ist nicht Aufgabe des Staates, über die Lohnhöhe zu entscheiden, sondern der Tarifvertragsparteien. Wo die Gewerkschaften so schwach sind, dass sie dieser Aufgabe nicht mehr nachkommen können, sollte der Staat unterstützend eingreifen. Dieses Ziel verfolgen wir mit tariflichen Mindestlöhnen, ohne dass der Staat dabei an die Stelle der Gewerkschaften tritt und sie ersetzt.
Mit freundlichen Grüßen
Clemens Binninger