Portrait von Clemens Binninger
Clemens Binninger
CDU
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Clemens Binninger zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Igor T. •

Frage an Clemens Binninger von Igor T. bezüglich Wirtschaft

Hallo,

wie werden Sie sich bei der Abstimmung Ende September im Bundestag (Erweiterung Euro-Rettungsschirm) verhalten?

Stimmen Sie dafür? Falls ja was sind Ihre Beweggründe?

Und können sie Ihr Verhalten, falls Sie mit JA stimmen, überhaupt mit Ihrem auf die Verfassung geleisteten EID in Einklang bringen?

Besten Dank

Portrait von Clemens Binninger
Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Tomic,

morgen entscheidet der Deutsche Bundestag über die Erweiterung des temporären Euro-Rettungsschirmes, der sogenannten Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF). Sie hatten mir dazu am 12. September eine Frage gestellt, die ich Ihnen noch vor der Abstimmung dem Thema angemessen, ausführlich beantworten möchte.

Anders als es teilweise in den Medien vermittelt wird, stimmen wir am Donnerstag nicht über ein zweites Rettungspaket für Griechenland ab. Auch nicht darüber, wie aus dem temporären Rettungsschirm eine dauerhafte Einrichtung (ESM) werden soll. Diese Entscheidungen stehen noch aus.

Dennoch ist auch die Entscheidung am Donnerstag eine außergewöhnlich schwierige. Von Befürwortern und Gegnern werden jeweils gravierende Argumente vorgetragen, die gegeneinander abgewogen werden müssen. Experten aus Finanz- und Wirtschaftswissenschaften geben dabei kaum Orientierung, da sie in vielen Fällen unterschiedlicher Meinung sind. Viele Thesen werden an Wahrscheinlichkeiten geknüpft, aber niemand kann eine hinreichend verlässliche Vorhersage über ihr Eintreten geben. Einigkeit besteht nur darin, dass es den allein richtigen Weg offensichtlich nicht gibt und jede Lösung Geld kostet.

Anders als Sie vermuten, leisten Abgeordnete keinen Eid auf die Verfassung. Dennoch habe ich mir meine Position nach bestem Wissen und Gewissen erarbeitet. Es sind eine Fülle von Fakten, Gesprächen und Bewertungen in die Entscheidung eingeflossen. Im Ergebnis bleibt es aber dennoch meine persönliche Entscheidung, zu der ich stehe und die ich auch gegenüber der Öffentlichkeit zu vertreten habe.

Ich werde der Erweiterung des temporären Euro-Rettungsschirmes zustimmen und begründe Ihnen dies wie folgt:

Die Lage für unsere Währung, unsere Wirtschaft aber auch für unsere Staatengemeinschaft ist sehr ernst. Der Erfolg unserer Exportwirtschaft und damit auch unser Wohlstand hängt ganz maßgeblich mit dem Euro zusammen. Im Landkreis Böblingen mit seinen zahlreichen exportabhängigen Betrieben wird das in besonderem Maße deutlich. Wir sollten unseren Wohlstand nicht aufs Spiel setzen, indem wir jetzt dem Rettungsschirm die notwendige Erweiterung verweigern und damit eine Kettenreaktion in Gang setzen, die am Ende nicht mehr beherrschbar wäre. Die Erfahrungen mit der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers sollten uns noch in guter Erinnerung sein.

Die Politik muss Zeit zurückgewinnen. Es ist richtig, dass die Konstruktion der gemeinsamen Währung das wirtschaftliche Ungleichgewicht in den Euro-Staaten nicht ausreichend berücksichtigt hat. Richtig ist auch, dass es ein großer Fehler der Schröder-Regierung war, gegen das Drei-Prozent-Stabilitätskriterium zu verstoßen und sich zudem für die Aufnahme Griechenlands in die Euro-Zone einzusetzen. Auch die zu hohe Staatsschuldenquote in vielen Ländern ist ein Fakt, der ganz wesentlich für die Krise verantwortlich ist.

Wer dieser Analyse zustimmt und daraus die Forderung ableitet, dass sich etwas ändern muss, wird aber feststellen, dass man für notwendige Reformen (Europäische Wirtschaftsregierung, bessere Überwachung der Stabilitätskriterien, Auflagen für Defizitsünder und nachhaltige Reformen in den Euro-Staaten) Zeit benötigt. Zeit, die wir von den Finanzmärkten nicht bekommen und auch gar nicht bekommen können, die wir uns aber mit dem Euro-Rettungsschirm verschaffen. Zugleich müssen wir dafür gerüstet sein, im Falle der Insolvenz eines Staates andere Staaten und das europäische Bankensystem vor einem Zusammenbruch zu schützen. Dies kann nur der Euro-Rettungsschirm leisten.

Bei den derzeit durch Deutschland zugesicherten Garantien (keine Kredite) handelt es sich um enorme Summen, wohl war. Und wie bei jeder Bürgschaft, muss man in Betracht ziehen, dass sie fällig werden könnten. Nach der Erweiterung des temporären Rettungsschirmes würde Deutschland statt für 123 Milliarden Euro für maximal 211 Milliarden Euro bürgen. Zuviel Geld, sagen die Kritiker. Auch hier will ich auf eine Erfahrung aus der Bankenkrise 2008 zurückgreifen. Auf dem Höhepunkt dieser Krise wurden wir mit der Situation konfrontiert, dass ein Zusammenbruch unseres Bankensystems drohte, da sich die Banken untereinander auf dem sogenannten Interbankenmarkt kein Geld mehr liehen. Die Mehrzahl der Experten vertrat die Auffassung, Abhilfe könne nur ein Rettungsschirm schaffen, der schnell Kredite und Garantien in Milliardenhöhe gewährleiste. Diesem Rat sind wir gefolgt und haben innerhalb von nur einer Woche das erforderliche Gesetz beschlossen und 80 Milliarden Euro Kredite sowie 400 Milliarden Euro (!) Garantien für die Banken in Deutschland bereitgestellt. Dieser Bankenrettungsschirm war zeitlich befristet: Banken konnten nur bis Ende 2010 Kredite und Garantien beantragen. Trotzdem hat er gewirkt. Der Kredit- und Garantierahmen wurde monetär nie ausgeschöpft, aber sein Umfang schaffte Vertrauen. Zum Jahresende 2010 hatte der Bankenrettungsschirm noch Garantien über 64 Milliarden Euro sowie Kredite über 29 Milliarden in seinen Büchern stehen, die nun Schritt für Schritt zurückgefahren werden.

„Scheitert der Euro, scheitert Europa.“ Dieses Zitat von Bundeskanzlerin Angela Merkel ist manchen Kritikern zu dramatisch. Ich finde das nicht, denn es macht über den Tag hinaus deutlich, dass wir in einer globalisierten Welt nur dann eine Chance haben werden, wenn wir zusammenstehen und als Europa geschlossen auftreten. Es ist kein Naturgesetz, dass Deutschland immer eine der führenden Exportnationen bleiben wird. Allein die demographische Entwicklung wird uns noch vor große Herausforderungen stellen. Demgegenüber gibt es neue Akteure auf dem Weltmarkt, die in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung genommen haben und noch nehmen werden: China und Indien sowieso, aber auch Brasilien, Indonesien, Südkorea oder die Türkei.

Im Interesse unser aller Zukunft brauchen wir darum mehr Europa und nicht weniger. Mehr Europa heißt für mich aber nicht, dass Mitgliedsstaaten auf Reformen verzichten und auf Kosten anderer Eurostaaten leben können. Vielmehr brauchen wir ein verbindliches Regelwerk, an das auch Sanktionen geknüpft werden können (bis hin zur Abgabe von Souveränitätsrechten) und eine Form von Solidarität, bei der es keine Leistung ohne Gegenleistung gibt.

Um aber diesen Weg überhaupt zu erreichen und um zu verhindern, dass die Eurozone auseinanderbricht, brauchen wir die Erweiterung des Euro-Rettungsschirmes.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Clemens Binninger