Frage an Clemens Binninger von Dirk P. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Abend Herr Binninger,
ich habe folgende Frage: Bei der Abstimmung zur "Einführung bundesweiter Volksentscheide" haben Sie mit "nein" gestimmt. Ich hätte gerne von Ihnen Ihre Beweggründe dafür gewusst und ebenso, wofür das D in ´CDU´ denn dann steht, wenn es nicht "demokratisch" ist.
Freundliche Grüße
Dirk Poe
Sehr geehrter Herr Poe,
gerne lege ich Ihnen dar, warum ich gegen die Einführung bundesweiter Volksentscheide gestimmt habe. Wenn Sie mit Ihrem Beitrag allerdings unterstellen wollen, dass eine Partei nur dann demokratisch ist, wenn sie Volksentscheide auf Bundesebene befürwortet (also Ihrer Meinung ist), sollten Sie sich fragen, auf welchen Annahmen Ihr Demokratieverständnis beruht. Es ist ein wesentliches Element unserer Demokratie, dass man unterschiedlicher Meinung sein kann und ich habe nun einmal eine andere Meinung zum Thema „Volksentscheid auf Bundesebene“ als Sie.
Meine Ablehnung von Volksentscheiden auf Bundesebene basiert auf folgenden sieben Punkten:
1. Unsere repräsentative Demokratie auf Bundesebene ist nicht defizitär. Ich halte es für problematisch, wenn von manchen Unterstützern von Volksentscheiden dieser Eindruck erweckt wird. Das Gegenteil ist der Fall. Unsere repräsentative Demokratie hat sich in mehr als 60 Jahren bewährt. Das gilt für zentrale Gesetze, die unser Land prägen, ebenso wie für entschlossenes Handeln in Krisensituationen. Aus gutem Grund haben die Väter und Mütter des Grundgesetzes im Grundsatz auf plebiszitäre Elemente in der Verfassung verzichtet.
2. Für die meisten politischen Fragestellungen gibt es keine einfachen Antworten. In Zeiten der Globalisierung, in der Entwicklungen und Zusammenhänge immer komplexer werden, wächst zwar bei vielen die Sehnsucht nach einfachen Antworten. Die Gesetzgebung ist oftmals aber sehr vielschichtig und muss dabei auch eine kaum überschaubare Vernetzung mit anderen Regelungsbereichen berücksichtigen. Volksentscheide, die am Ende immer nur eine Ja/Nein-Optionen bieten, werden dem nicht gerecht. Auf Landes- und Kommunalebene, wo es um Fragestellungen vor Ort geht (meistens Infrastrukturprojekte), halte ich die direkte Einflussnahme über eine Abstimmung dagegen für sinnvoll.
3. Inhalte können bei Volksentscheiden schnell zur Nebensache werden. Die Erfahrungen mit den Referenden, die in einigen Staaten etwa zum Vertrag von Lissabon durchgeführt wurden, zeigen, dass häufig nicht die Inhalte eines Plebiszits im Mittelpunkt der Abstimmung stehen, sondern ganz andere Fragen oder sogar einfach nur aktuelle Stimmungslagen einen Volksentscheid prägen. Die Verkürzung vieler Sachthemen könnte leicht zu populistisch beeinflussten Ergebnissen führen, bei denen die notwendigen Kompromisse der parlamentarischen Diskussion auf der Strecke bleiben.
4. Die repräsentative Demokratie leistet einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung unserer Gesellschaft, indem sie ganz bewusst auf Kompromiss und Interessenausgleich ausgelegt ist. Volksentscheide würden unser parlamentarisches Gesetzgebungsverfahren möglicherweise stark verändern und insbesondere zu Lasten von Minderheiten und gesellschaftlich benachteiligten Gruppen gehen, die für ihre berechtigten Anliegen keine Mehrheit bei Volksentscheiden finden würden.
5. Wenn alle entscheiden, entscheidet am Ende keiner. Wer durch direkte Demokratie auf Bundesebene die Entscheidung über wichtige Sachfragen abgibt, gibt auch die Verantwortung dafür ab. Niemand hat am Ende für die Folgen von Entscheidungen einzustehen, weil die anonyme Wählerschaft sie getroffen hat. Volksentscheide bringen damit für die gewählten Parlamentarier die Versuchung mit sich, unpopuläre oder schwierige Entscheidungen dem Volk zu überlassen. Das ist nicht mein Verständnis von verantwortungsvoller Politik.
6. Die Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene ist kein Rezept gegen Politikverdrossenheit. Sie würden auch die politische Aktivität nicht fördern – wie häufig vorgetragen wird. Auf kommunaler Ebene, wo Volksentscheide durchgeführt werden, müsste es dann ein Leichtes sein, Kandidaten für Gemeinderatslisten zu finden. Auch müsste die Wahlbeteiligung bei Bürgermeisterwahlen entsprechend hoch sein. Beides ist aber in der Regel nicht der Fall. Nicht einmal Volksentscheide etwa auf Landesebene wecken so viel politisches Interesse, dass es zu einer ähnlich hohen Beteiligung wie bei Landtagswahlen kommt.
7. Es gibt viele Möglichkeiten, sich direkt einzubringen. Jeder kann sich in unserer Demokratie nicht nur bei Wahlen mit seiner Stimme einbringen, sondern auch in Bürgerinitiativen, Interessengruppen oder Parteien politisch engagieren.
Möglicherweise könnte man auch mit einer Reihe von konkreten Argumenten für Volksentscheide auf Bundesebene werben, darauf haben Sie aber offensichtlich verzichtet. Eine Erfahrung, die ich bei kategorischen Befürwortern von Volksentscheiden auf Bundesebene leider immer wieder mache.
Mit freundlichen Grüßen
Clemens Binninger