Portrait von Clemens Binninger
Clemens Binninger
CDU
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Clemens Binninger zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Stephan W. •

Frage an Clemens Binninger von Stephan W. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Binninger,

nach dem Urteil des BVerfG zum Lissabon-Vertrag wird von der Union in großer Geschwindigkeit gehandelt. Während der Sommerpause sollen die Fachpolitiker das Gesetz in den Ausschüssen überarbeiten, Ende August und Anfang September sind dann Sondersitzungen des Bundestages geplant, um noch in dieser Legislaturperiode die vom Verfassungsgericht geforderten Nachbesserungen am Begleitgesetz zu erzielen. Man beachte dabei, dass vom Verfassungsgericht kein Zeitrahmen vorgegeben wurde.

Bereits vor einem Jahr hat des BVerfG ein Urteil zum Wahlrecht getroffen bzgl. der Überhangmandate. Hier wurde ein Zeitrahmen zur Abhilfe vorgegeben. Der offenbar von der Union auch ausgenutzt werden will. Obschon zu erwarten ist, dass die Wahlergebnisse im Herbst bei der Bundestagswahl verfälscht werden, in Teilen nicht dem Wählerwillen entsprechen und womöglich verfassungswidrig sein werden.

Es stellt sich die Frage, weshalb die Union solch erheblich unterschiedliche Geschwindigkeiten bei der Umsetzung von Urteilen des höchsten Gerichtes vorlegt. Warum sie einerseits sehr, sehr schnell ist in Sachen Lissabon-Vertrag, sich andererseits sehr viel Zeit nimmt in Sachen Wahlrecht. Zumal letzteres die Bürger des Landes unmittelbarer betrifft.

Wie ist ihr Standpunkt hierzu?

Mit freundlichem Gruß

Stephan Wunsch

Portrait von Clemens Binninger
Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Wunsch,

haben Sie vielen Dank für Ihre Frage. Gerne teile ich Ihnen meinen Standpunkt mit.

Zum Lissabon-Vertrag: Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber aufgefordert, das Begleitgesetz zum Lissabon-Vertrag neu zu fassen. Die Koalition hat vor, in den nächsten Monaten ein neues Begleitgesetz zu erarbeiten und zu verabschieden. Dieses Vorgehen wird auch von den Oppositionsparteien mitgetragen.

Die Frage, warum das neue Begleitgesetz noch vor der Bundestagswahl beschlossen werden soll, lässt sich leicht beantworten: Der Lissabon-Vertrag muss möglichst bald von Deutschland ratifiziert werden - und das geht nur mit dem neuen Begleitgesetz. Wenn Deutschland als größter EU-Staat und einer der "Motoren" der europäischen Einigung den Lissabon-Vertrag jetzt nicht zügig ratifiziert, könnte der gesamte Ratifizierungsprozess in Europa ins Stocken kommen. Viele Staaten haben bereits seit längerem ratifiziert. Die für die EU wichtigen Reformen können aber nur dann umgesetzt werden, wenn alle 27 Mitgliedstaaten ratifizieren. Wie Sie sicher wissen, steht Tschechien, wo die Ratifikation noch nicht abgeschlossen ist, dem Lissabon-Vertrag kritisch gegenüber. Irland wird nach der Ablehnung im ersten Referendum noch einmal über den EU-Reformvertrag abstimmen. Auch in Polen ist der Ratifikationsprozess noch nicht zu Ende. Es ist zu befürchten, dass hier europakritische Haltungen Zulauf gewinnen, wenn Deutschland als größter EU-Staat nicht ratifiziert.

Wenn wir vor diesem Hintergrund erst nach der Bundestagswahl mit der Arbeit am neuen Begleitgesetz beginnen würden, liefen wir Gefahr, dass wir erst im nächsten Jahr die Ratifizierung abschließen könnten. Ich hielte das für ein schlechtes Zeichen.

Zum Wahlrecht: Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom Juli 2008 den Gesetzgeber aufgefordert, Änderungen im Bundestagswahlrecht vorzunehmen, um das sog. negative Stimmgewicht zu vermeiden. Das Gericht hat dem Gesetzgeber ausdrücklich eine Frist für diese Wahlrechtsänderung bis zum 30. Juni 2011 gesetzt und das aus gutem Grund. Zum einen handelt es sich um eine recht komplexe Frage, wie auch die Anhörung im Innenausschuss zum Gesetzentwurf der Grünen im Mai noch einmal bestätigt hat. Zum anderen hätte jede Wahlrechtsänderung vor der Bundestagswahl in laufende Wahlvorbereitungen eingegriffen, was ich für bedenklich halte. Schließlich ist die Aufstellung von Wahlkreiskandidaten und Landeslisten, die bereits im Sommer 2008 begonnen hat, ein Bestandteil der Bundestagswahl.

Aus diesen Gründen hat sich die Koalition nach der Urteilsverkündung des Bundesverfassungsgerichts entschlossen, die Wahlrechtsreform erst nach der Bundestagswahl 2009 durchzuführen. Das Wahlrecht - wie es die SPD zuletzt gefordert hat - jetzt kurz vor der Sommerpause zu einem Zeitpunkt zu ändern, zu dem bereits alle Direktkandidaten und Landeslisten aufgestellt sind, wäre meiner Einschätzung nach sehr problematisch gewesen.

Es ist meiner Überzeugung nach richtig, die Wahlrechtsreform erst nach der Bundestagswahl in Angriff zu nehmen. Das eröffnet die Möglichkeit alle Reformoptionen sorgfältig abzuwägen und auch das "Zweitstimmenurteil" des Verfassungsgerichts zu berücksichtigen.

Einen Punkt möchte ich noch einmal besonders unterstreichen: Die Bundestagswahl am 27. September nach "altem" Wahlrecht ist definitiv verfassungsgemäß. Genau das hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Wahlrechtsurteil eindeutig zum Ausdruck gebracht. Hier ist jeder Zweifel ausgeschlossen.

Mit freundlichen Grü�en

Clemens Binninger