Frage an Claudia Roth von Hans A. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Roth,
laut Pressemeldung vom 26.02. (abrufbar auf der Website Ihrer Partei unter http://www.gruene.de/cms/default/dok/272/272464.stiftungsprojekt_neu_ueberdenken.htm ) haben sie bezueglich der Stiftung ‚Flucht, Vertreibung und Versöhnung‘ geaeussert, "an die tragischen Schicksale von Deutschen, die Polen verlassen mussten, ist in Würde zu erinnern".
Hierzu meine Frage: Ist Ihnen bekannt, dass die meisten Deutschen
keineswegs aus Polen, sondern vielmehr aus Deutschland vertrieben wurden, und dass diese deutschen Gebiete erst anschliessend unter polnische bzw. sowjetische Verwaltung gestellt wurden? Wuerden Sie vor diesem Hintergrund Ihre Formuliereng ggf. aendern?
Vielen Dank fuer die Beantwortung meiner Frage!
Hans Adam
Sehr geehrter Herr Adam,
die Debatte um die Stiftung „Flucht, Vertreibung und Versöhnung“ und um die Nominierung der Vertriebenenverbandschefin Steinbach für den Beirat der Stiftung hat viele Menschen beunruhigt. Besonders groß ist die Beunruhigung in Polen, nicht zuletzt deshalb, weil Frau Steinbach im Bundestag ja gegen die Anerkennung der polnischen Westgrenze durch die Bundesrepublik gestimmt hat.
Die Formulierung, die Sie anführen, bezieht sich auf die Erinnerung an das Leid von Menschen, die in dem Gebiet gelebt haben, das heute das Staatsgebiet der Republik Polen ausmacht - unabhängig vom Verwaltungsstatus, den das Gebiet zu welchem Zeitpunkt auch immer einmal hatte. Die Formulierung will gerade keine revanchistischen Ansprüche aufmachen, sondern diese strikt zurückweisen.
Um noch ein Schlaglicht auf die Historie von Gebieten zu werfen, die von Ihnen als „deutsch“ reklamiert werden und die von Hitlerdeutschland seinerzeit annektiert wurden, möchten wir aus einem Ausstellungstext der Deutschen Forschungsgemeinschaft zitieren: „So wurden zwischen 1940 und 1944 über 700.000 Deutsche in den vom Deutschen Reich annektierten Gebieten Westpreußen, „Warthegau“ und Oberschlesien angesiedelt. Um für die deutschen Siedler Platz zu schaffen, wurden 800.000 nicht-jüdische Polen aus ihren Wohnorten vertrieben. 1,7 Millionen Menschen wurden als Zwangsarbeiter „ins Reich“ verschleppt und zwischen 20.000 und 50.000 Kinder ebenfalls dorthin deportiert, um sie als Deutsche aufwachsen zu lassen. In ganz Polen wurden drei Millionen Menschen jüdischer Herkunft zunächst in Ghettos eingepfercht und schließlich ermordet.“
Wem es wirklich um Versöhnung und um die Erinnerung an menschliches Leid geht, der sollte klar und unmissverständlich die Grenzen der heutigen Republik Polen anerkennen. Eine mit Revanchismus und Gebietsforderungen offen oder auch nur untergründig vermischte Erinnerungskultur funktionalisiert dagegen das Leid von Menschen und verhindert ein würdiges Gedenken.
Mit freundlichen Grüßen
Das Büro-Team von Claudia Roth