Frage an Claudia Roth von Bernd S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Roth,
Sie bekennen sich zu den Menschenrechten. Auf Ihrer Facebook-Seite ist dieser schöne Satz zu lesen: "Wir müssen Vielfalt, Respekt und Menschenrechte überall verteidigen, egal ob on- oder offline." Heute musste ich in der Zeitschrift "Emma" und bei der Facebook-Seite "Initiative Humanismus" lesen, dass Sie züchtig mit Kopftuch im Iran Gespräche führten. Vielleicht ist es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, dass Iranerinnen für das kleine Stück Freiheit, nicht mehr das Kopftuch tragen zu müssen, sehr viel riskieren müssen.
Können Sie sich vorstellen, dass Sie mit Ihrem Auftreten diesen Frauen in den Rücken fallen? Und wie ist Ihr Besuch einer klerikal-faschistischen Tyrannei mit Ihrer Vorstellung von Menschenrechten zu vereinbaren?
Mit freundlichen Grüßen
Bernd Schärf
Sehr geehrter Herr Schärf,
vielen Dank für Ihre Nachricht, die ich im Namen von Claudia Roth beantworten möchte.
Uns ist bekannt und bewusst, dass die geltenden Kleidervorschriften im Allgemeinen und der Kopftuchzwang im Besonderen in der Islamischen Republik Iran ein eklatantes Unrecht darstellen. Denn diese bedeuten eine alltägliche und immer währende Verletzung der Rechte von Frauen. Diese Vorschriften beschneiden das Selbstbestimmungsrecht von Frauen in ganz privaten Fragen, die den Staat nichts angehen.
Selbstverständlich kennen wir auch die vielfältigen Aktivitäten und Protestaktionen der iranischen Frauen, im realen Leben wie im Netz, gegen die systematische Entrechtung von Frauen in der Islamischen Republik Iran. Diese hat Claudia Roth stets und im Rahmen der Spielräume unterstützt, die der Außenpolitik und außenpolitischen Akteuren zur Verfügung stehen.
Uns ist bewusst, dass Besuche in einer Diktatur oder in einem unfreien Land, die einem politischen Ziel oder politischen Verhandlungen dienen, immer mit schwierigen Abwägungen einhergehen. Wer erinnert sich nicht an solche Unternehmungen im Umgang mit den Regimes in Nordkorea, im von Gaddafi regierten Libyen, im Irak Saddam Husseins, im Pinochet-Chile, in Saudi-Arabien, in der Sowjetunion, in der Volksrepublik China, in vielen Militärdiktaturen und anderen ähnlichen Machtsystemen. In solchen Fällen fährt man in ein Unrechtssystem, dessen Name und Bezeichnung selbsterklärend sind. Die Rolle der Reisenden ist die von außenpolitischen Akteuren. Er sind keine innenpolitischen Akteure, keine Befreier und auch keine Richter. Der entscheidende Punkt bei solchen Besuchen ist, wie man diese Besuche inhaltlich gestaltet: anbiedernd oder sachlich-kritisch verbunden mit Kritik und Forderungen auf der Basis der internationalen Abkommen und des eigenen Wertefundaments.
Die Kleidervorschriften sind eine von vielen weiteren zum Teil gravierenderen Einschränkungen von demokratischen und freiheitlichen Rechten im Iran. Wenn man aber der politischen Überzeugung ist, dass Kontakte in die iranische Gesellschaft hinein wichtig sind, können die ausländischen Besucher nicht so tun, als ob sie in der Lage wären, die realen Machtverhältnisse zu umgehen oder zu ignorieren. Umso wichtiger ist es deshalb, in den Gesprächen mit den offiziellen Vertretern Klartext zu reden.
Claudia Roth hat in den Gesprächen mit den Vertretern der iranischen Politik viele Frauen diskriminierende Gesetze und Vorschriften deutlich und kritisch angesprochen. Ich wünschte mir, dass alle Politiker bei ihren Iran-Besuchen das in diesem Maße tun.
Wenn Sie jedoch für eine Politik der totalen Isolation des Iran eintreten, dann sollten Sie das offen sagen. In diesem Falle würden wir Ihre Sicht der Dinge respektieren, ohne sie zu akzeptieren. Denn wir teilen die Sichtweise nicht, wonach das Land Iran solange gemieden und komplett isoliert werden muss, bis die politisch beschlossenen Kleidervorschriften abgeschafft werden und es Frauen möglich ist, ohne Kopftuch am öffentlichen Leben teilzunehmen.
Bestünde man umgekehrt nämlich in der jetzigen Situation auf das Ablegen des Kopftuchs als Voraussetzung, ohne die realen Machtverhältnisse und die daraus abgeleitete Politik ändern zu können, würde das lediglich bedeuten, dass Politikerinnen den Iran nicht besuchen dürfen und können. Das Bestehen auf diese Vorbedingung hätte im heutigen Iran nur zur Folge, dass man Frauen in der von den Konservativen und Fundamentalisten gewollten Isolation belässt und sie aus dem öffentlichen Leben ausschließt.
Wie oben bereits erwähnt sind Außenpolitiker keine innenpolitischen Akteure, wohl wissend, dass Außenpolitiker mit ihrem Einsatz die Arbeit von innenpolitischen Akteuren unterstützen können. Nicht der Ansatz "isolieren und nicht hingehen, bis sich alles ändert" hat in den letzten 35 Jahren etwas bewirkt, sondern mehrfach die Einbeziehung der iranischen Zivilgesellschaft durch die internationale Gemeinschaft, die Einladungen an iranische Künstler zu internationalen Festivals, der akademische Austausch usw. Denn diese Kontakte und die kleinen Öffnungen schaffen auch den Raum für wirksamere Aktionen, vor allem auch für und von Frauen.
Der Kopftuchzwang im Iran ist eine politische Regelung und zweifelsohne eine diskriminierende Vorschrift. Sie ist aber keine kulturell oder religiös begründete Regelung, denn eine religiöse Begründung für diese politische Entscheidung ist nicht einmal unter den religiösen Gelehrten des Landes Konsens. Der Besuch im Iran, zumal in einem offiziellen Rahmen, kann nur mit Einhaltung der dortigen Gesetze einhergehen, was keineswegs die Akzeptanz dieser Gesetze bedeutet.
Vielleicht wissen Sie nicht, dass die Reise von Claudia Roth als verbundene Reise nach Saudi-Arabien und anschließend in den Iran geplant war. Die iranische Politik hat die Reise im Gegensatz zu Saudi-Arabien ermöglicht. Den Saudis war es offenbar viel lieber, die Reise zu verhindern, als sich Kritik an der Lage der Frauen, der Minderheiten und der Arbeitsmigranten dort anhören zu müssen.
Bei Interesse möchte ich noch auf einen Gastbeitrag von Claudia Roth zu ihrer Iran-Reise auf ZeitOnline verweisen:
http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-01/iran-claudia-roth
Mit freundlichen Grüßen
Team Roth