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Claudia Roth
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Frage von Alexander R. •

Frage an Claudia Roth von Alexander R. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrte Frau Roth,

mit großem Interesse habe ich Ihren Aufruf an die Bundeskanzlerin, sich in die Personaldebatte um Frau Steinbach als Mitglied des Stiftungsrates für das Vertriebenenzentrum einzuschalten, vernommen.
Sie sprechen sich gegen Frau Steinbach aus, da das deutsch-polnische Verhältnis nicht belastet werden dürfe.

Diesbezüglich habe ich drei Fragen an Sie:

1.) Hat Polen Ihrer Meinung nach das Recht, uns Deutschen vorzuschreiben, wie, auf welche Weise und unter Beteiligung welcher Personen wir UNSERER Kriegsopfer gedenken?

2.) Ist das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen aus den ehemaligen, heute zu Polen gehörenden Ostgebieten des Deutschen Reiches mit den Verbrechen des Nationalsozialismus zu rechtfertigen? Oder einfacher formuliert: Gibt es schlimme und nicht so schlimme Verbrechen?

3.) Wenn allein die Personalie Frau Steinbach schon das deutsch polnische Verhältnis belastet, wie bewerten sie dann die Aussage von Herrn Bartoszewski, die Nominierung von Frau Steinbach für den Stiftungsbeirat sei so, als wenn der Vatikan den Holocaust-Leugner Williamson zum Israel-Beauftragten ernennen würde, sowie die zahlreichen Anfeindungen Frau Steinbachs durch die polnischen Medien?

Ich würde mich freuen, wenn Sie sich die Zeit für die Beantwortung meiner Fragen nähmen und verbleibe

Mit freundlichen Grüßen

Alexander Rüstau

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Rüstau,

es geht nicht um „UNSERE Kriegsopfer“, sondern um ein würdiges Erinnern an das Schicksal von Menschen, die als Folge des verheerenden, von Nazideutschland ausgelösten 2. Weltkriegs Flucht und erzwungene Migration erfahren haben. Ein angemessenes Erinnern an diese Leiderfahrungen wird immer wieder in Frage gestellt, weil aggressive revanchistische Positionen dieses Leid funktionalisieren wollen - bis hin zur Nichtanerkennung der polnischen Westgrenze und Gebietsansprüchen an das Land. Wem es wirkliche um Versöhnung und um würdiges Erinnern und nicht um Revanchismus geht, der sollte eine ehrliche Verständigung mit der polnischen Seite und allen weiteren Opfern der deutschen Aggression suchen - und nicht mit einer hochmütigen Geste nach dem Motto: „Von Euch lassen wir uns gar nichts sagen“ abwinken. Es geht um ein gemeinsames Erinnern auch mit Polen. Deshalb ist es wichtig, ein solches Projekt nicht an einzelnen Personen oder Vorbehalten diesen Personen gegenüber scheitern zu lassen.

Die Verbrechen der Nazis sind singulär. Der Holocaust, ein industriell betriebener Völkermord, kann mit nichts aufgerechnet werden. Die Menschheitsverbrechen, die im deutschen Namen in der Zeit des Nationalsozialismus verübt wurden, dürfen nicht relativiert werden.

Herr Bartoszewski hat die Schrecken der Naziverbrechen am eigenen Leib erfahren. Als Widerstandskämpfer gegen die deutsche Besatzung rettete er viele jüdische Bürgerinnen und Bürger vor der Vernichtung und überlebte Auschwitz selbst nur knapp. Für ihn und für viele Menschen in Polen und anderswo ist es irritierend und stößt auf emotionale Ablehnung, dass Frau Steinbach, geboren als Tochter eines deutschen Luftwaffenoffiziers,, der im 2. Weltkrieg als Besatzungssoldat nach Polen kam, jetzt als Präsidentin des Vertriebenenbunds fungiert. Sie stimmte zudem gegen die Anerkennung der polnischen Westgrenze und die Aufnahme Polens in die EU. Auch die nationalsozialistischen Verstrickungen von Funktionären ihres Verbandes sind noch immer nicht aufgearbeitet – obwohl das von Seiten des Vertriebenbundes angekündigt wurde. Auch wenn die von Ihnen angeführte Äußerung von Herrn Bartoszewski überzogen ist – welche aber die emotional und nationalistisch geladene Stimmung in Polen bzw. in den polnischen Medien widerspiegelt -, bleibt einiges zu tun, wenn der Vertriebenenbund einen wirklichen Beitrag zu Verständigung und Versöhnung leisten will, anstatt – wie leider zu oft in der Geschichte – für Spannungen und Irritationen im deutsch-polnischen Verhältnis zu sorgen.

Mit freundlichen Grüßen

Das Büro-Team von Claudia Roth

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