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Frage von Michael S. •

Frage an Claudia Roth von Michael S. bezüglich Familie

Sehr geehrte Frau Abgeordnete,

im Januar 2003 erklärte das BVerfG den § 1626a BGB, der unverheirateten Müttern die elterliche Alleinsorge zugesteht, für verfassungskonform und verwies die Regelung zur Prüfung an den Gesetzgeber weiter. Im Namen der Kreisgruppe Siegen-Wittgenstein des Väteraufbruch für Kinder e. V., und der überregionalen Siegener Selbsthilfegruppe für Opfer von Familientrennung möchte ich nachfragen, wie der Stand der Prüfung ist und welche Meinung Sie zum prinzipiell geteilten Sorgerecht für beide Eltern, unabhängig von Trauschein oder Trennung, haben. Ist ferner angedacht, die Einordnung lediger Eltern und Geschiedener, die nicht mit ihren Kindern in einem Haushalt leben, in die Steuerklasse 1, die die Unterhaltspflicht nicht berücksichtigt, zu ändern?

Mit freundlichen Grüßen,

Michael Siebel

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Siebel,

gerne lege ich Ihnen die grüne Position zur elterlichen Verantwortung von Eltern dar, die nicht miteinander verheiratet sind.

Nach bestehendem Recht ist ein gemeinsames Sorgerecht für nicht miteinander verheiratete Eltern nur möglich, wenn beide Eltern eine gemeinsame Sorgeerklärung abgeben. Diese Erklärung braucht es unabhängig davon, ob die Eltern zusammenleben und sich gemeinsam um ihr Kind kümmern oder nicht. Weigert sich die Mutter, eine gemeinsame Sorgeerklärung abzugeben, hat der Vater des gemeinsamen Kindes keine Möglichkeit, das gemeinsame Sorgerecht gerichtlich herstellen zu lassen. Die Mutter mag dafür in der Regel gute Gründe haben. Dem Vater ist es aber selbst dann nicht möglich, Mitinhaber des Sorgerechts zu werden, wenn dies dem Kindeswohl am besten entspricht.

Eine andere Möglichkeit, die zum gemeinsamen Sorgerecht führt: Die Eltern heiraten. Wer heiratet, hat automatisch ein gemeinsames Sorgerecht für gemeinsame Kinder. Die Zahl der Eltern, die nach der Geburt eines Kindes heiraten, wächst kontinuierlich. Es liegt nahe, dazwischen einen Zusammenhang herzustellen.

In den vergangenen Jahren ist aber auch die Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern um gut ein Viertel gestiegen. Jährlich werden etwa 200.000 Kinder geborenen, deren Eltern nicht miteinander verheiratet sind - fast ein Drittel aller in einem Jahr geborenen Kinder. Immer mehr Eltern und Kinder sind daher von der gegenwärtigen Regelung des Sorgerechts bei Nichtverheirateten (§1626a BGB) betroffen. Die Kindschaftsrechtsreform von 1998 hat die rechtlichen Bedingungen für die Situation nach Scheidung oder Trennung Verheirateter verändert: Im Falle einer Scheidung soll die gemeinsame Verantwortung für die Kinder weiter gelebt werden. Schließlich haben Kinder ein Recht auf beide Eltern. Nur auf Antrag eines Elternteils prüft das Gericht, ob für das Kindeswohl das alleinige Sorgerecht eines Elternteils besser ist.

Wir Grüne meinen: Diesem Anspruch muss auch die rechtliche Regelung für Nichtverheiratete nachkommen. Elterliche Verantwortung endet nicht mit der Trennung der Eltern. Auch hier muss die Möglichkeit für ein gemeinsames Sorgerecht bestehen. Ziel einer Reform des §1626a BGB muss unserer Einschätzung nach sein, eine neue Balance zwischen dem Wohl und Interesse des Kindes und beider Eltern zu finden. Wir haben hierzu einen Vorschlag unterbreitet, der dem Recht des Kindes auf beide Eltern mehr Geltung verschafft. Die Rechtsschutz- und damit die Gerechtigkeitslücke für Väter würde so geschlossen werden.

In unserem Bundestagsantrag (Bundestagsdrucksache 16/9361) fordern wir eine moderate Öffnung der jetzigen Regelung für Väter: Können sich Eltern beim Sorgerecht nicht einigen, sollte künftig der Vater eine gerichtliche Einzelfallentscheidung herbeiführen können. Durch diese Öffnung der bisherigen Regelung können Väter in begründeten Fällen ihre Rechte auch gegen den Willen der Mutter durchsetzen. Für Kinder wäre das Recht auf beide Eltern besser umgesetzt als bisher. Und dem Interesse der Mütter wäre durch die individuelle Prüfung ihrer Vorbehalte gegen die Sorgebeteiligung des Vaters Rechnung getragen. Sollte die Mutter die gemeinsame Sorge, wie vom Gesetzgeber in der bestehenden Regelung unterstellt, aus schwerwiegenden, kindeswohlschädlichen Gründen – etwa Gewaltausübung gegen sie oder das Kind – nicht befürworten, sollen diese Gründe auch in der Einzelfallprüfung Bestand haben.

Auseinandersetzungen um das gemeinsame Kind werden meist hoch emotional geführt. Hinter "Sachkonflikten" verbergen sich oft emotionale Verletzungen der Partner. Eltern brauchen in solchen schwierigen Lebenslagen Unterstützung. Auch um die Zahl hoch strittiger Verhandlungen vor dem Familiengericht und die Eskalation von Konflikten möglichst niedrig zu halten, muss stärker als bisher im Vorfeld agiert werden. In der Praxis gibt es bisher zu wenig Angebote und Möglichkeiten, sich über die rechtlichen Rahmenbedingungen informieren und beraten zu lassen und sich im Streitfall moderierende Unterstützung zu holen. Deshalb schlagen wir ebenfalls vor, beiden Eltern offensiv niedrigschwellig erreichbare, professionelle Unterstützung zur Klärung anzubieten. Dies ist für uns eine wesentliche Voraussetzung für ein gutes Gelingen der Reform des Sorgerechts.

Nach der Einbringung unseres Antrags gibt es keine nennenswerte Bewegung der großen Koalition in der Frage.

Mit freundlichen Grüßen

Claudia Roth

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