Frage an Claudia Roth von Ingrid H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Roth,
was mir bei Ihnen auffällt ist, daß Sie immer sehr gestelzt die Endung "innen" verwenden. Jetzt wieder bei Ihrer Stellungnahme bei der von linken, grünen und linksextremen Gegendemonstranten gewaltsam verhinderten islamkritischen Veranstaltung in Köln.
Stolz reden Sie von "Demokraten und Demokratinnen". Als Frau würde mir auch die allgemeine Beschreibung Demokraten reichen. Ich frage Sie, was wollen Sie damit bezwecken? Brauchen wir als Frauen diese Wortschöpfung überhaupt?
Mit freundlichen Grüßen
Ingrid Hahn
Sehr geehrte Frau Hahn,
bewusst versuche ich, weibliche Formen in der Sprache mit einzubeziehen, nicht nur in meiner Kritik an der Anti-Islam-Konferenz, sondern in all meinen öffentlichen Reden, Artikeln und Pressemitteilungen. Es ist Teil des Bemühens, zu einer geschlechtergerechten Sprache zu kommen – ein Anliegen, das ich mit vielen Frauen und Männern teile. Denn Sprache ist nicht etwas Neutrales. Sie ist auch nicht einfach der Hort der Vernunft. In ihr spiegeln und verfestigen sich auch Vorurteile und diskriminierende Rollenbilder.
Wenn ich zum Beispiel in einer Versammlung die anwesenden Männer und Frauen nur mit „Liebe Freunde“ ansprechen würde, wäre damit die männliche Anredeform als die allgemeine, auch für die Frauen gültige Anredeform gesetzt. Wenn man aber bedenkt, dass der öffentliche Bereich lange Zeit tatsächlich als „Männersache“ behandelt wurde, während Frauen in den Bereich des Privaten, des Haushaltes und der Familie abgedrängt wurden, dann sieht man, wie sehr die rein männliche Anredeform traditionellen patriarchalischen Rollenbildern entspricht. Deshalb benutze ich sehr bewusst die weibliche Anredeform in vielen Reden, also: „liebe Freundinnen und Freunde“ - und zeige damit, dass Frauen ausdrücklich Teil des öffentlichen Bereichs sind.
Ich habe einmal ein Rätsel gehört, das sehr deutlich macht, worum es hier geht: Vater und Sohn haben einen schweren Autounfall. Der Vater stirbt, der Sohn überlebt und muss operiert werden. Doch als er ins Krankenhaus kommt, reagiert der behandelnde Chirurg bestürzt: „Ich kann ihn nicht operieren, es ist mein Sohn.“ - Wie geht das zusammen? Ist der tote Vater als Chirurg wieder auferstanden. Oder handelt es sich um eine verdeckte Vaterschaft? Nein, des Rätsels Lösung lautet: Der Chirurg ist eigentlich eine Chirurgin – eine Berufsbezeichnung, die bis vor wenigen Jahren noch kaum in Gebrauch war - es ist die Mutter des verletzten Jungen, er ist ihr Sohn.
Es hat ziemlich lange gedauert, bis in öffentlichen Stellenausschreibungen geschlechtergerechte Bezeichnungen eingeführt wurden - und nicht nur „ein Arzt“, sondern auch „eine Ärztin“, nicht nur ein Professor, sondern auch eine Professorin gesucht wurden. Von wirklicher Geschlechtergerechtigkeit sind wir allerdings noch weit entfernt – nicht nur in der Sprache, sondern in der ganzen Berufs- und Lebenswelt. In Deutschland verdienen Frauen durchschnittlich 25 % weniger als Männer. Deutschland liegt damit ganz hinten im EU-Vergleich. Und in den Vorständen der großen Unternehmen gibt es immer noch so gut wie keine Frauen. Die Wirtschaft tut hier viel zu wenig. Der Kampf für eine geschlechtergerechte Gesellschaft ist also lange nicht zu Ende – genauso wenig wie der Einsatz für eine geschlechtergerechte Sprache.
Mit freundlichen Grüßen
Claudia Roth