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Frage von Thorsten J. •

Frage an Claudia Roth von Thorsten J. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Roth,

im September war in Köln eine Demonstration gegen die Islamisierung Europas geplant. Die Demonstration musste abgesagt werden, da Demonstrationsgegner die gerichtlich genehmigte Demonstration rechtswidrig verhinderten.

Obwohl ich nicht mit den Zielen der Demonstration übereinstimme, hat mich der Umstand schockiert, dass eine Überzahl an Gegnern eine gerichtlich genehmigte Demo in unserem Rechtsstaat verhindern kann.

Dazu möchte ich Henryk Broder aus einem „Welt“-Interview vom 25. September zitieren: „Ich stelle fest, dass dieser kleine Vorfall in dieser auf ihre Liberalität so stolzen Stadt Köln eine totale Kapitulation des Rechtsstaats war. Das Demonstrationsrecht hängt nicht davon ab, ob man mit den Demonstranten Sympathie hat oder nicht: Das ist eine Grundrecht. (…) Die Verhinderung einer Versammlung von Rechtspopulisten ist ein schlechter Präzedenzfall. Das setzt ungute Vorzeichen. Die so genannte Antifa, die auf der Straße in der Überzahl war und sich gebärdete wie früher die SA, erzwang von der Polizei die Aufgabe des Schutzes der Rechtspopulisten. Das könnte auch mal umgekehrt sein – eine beunruhigend Perspektive.“

Zu diesem Vorfall habe ich folgende Frage an Sie:

1. Stehen Sie hinter dem im Grundgesetz verbrieften Recht auf Demonstrations- und Meinungsfreiheit auch dann, wenn es gegen Ihre politischen Überzeugungen geht?
2. Teilen Sie die Meinung, dass in unserem Rechtsstaat Gerichte entscheiden sollten, ob eine Demonstration rechtmäßig ist oder nicht?
3. Wie reagieren Sie als Politiker, wenn Sie feststellen, dass in Deutschland das Recht auf Demonstrations- und Meinungsfreiheit nicht geachtet wird?
4. Sie beziehen generell bei den kleinsten Rechtsstaatsverletzungen sehr explizit Stellung in der Presse. Von daher würde mich interessieren, in welcher Weise Sie auf den Rechts- und Verfassungsbruch in Köln reagiert haben?

Mit freundlichen Grüßen
Thorsten Jakubowski

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Sehr geehrter Herr Jakubowski,

das im Grundgesetz verbriefte Recht auf Demonstrations- und Meinungsfreiheit ist ein demokratisches Grundrecht. Der Staat und alle Demokratinnen und Demokraten müssen dahinter stehen, wenn es auch gegen ihre politischen Überzeugungen geht. Selbstverständlich sollten nur Gerichte entscheiden, ob eine Demonstration rechtmäßig ist oder nicht. Genauso selbstverständlich ist das Recht der anderen, sich Veranstaltungen und Bestrebungen entgegenzustellen, die Diskriminierungen an bestimmten Bevölkerungsgruppen das Wort reden, oder die Einschränkung von anderen demokratischen Rechten fordern. Die Kölner haben eindrucksvoll ihren Protest gegen die Konferenz zum Ausdruck gebracht – und zwar nicht nur in der von Broder beschriebenen Art. Offensichtlich waren einige Teilnehmer angesichts der sich abzeichnenden Proteste überhaupt nicht erschienen. Dies sorgte mit dafür, dass schließlich eine kleine Gruppe von Konferenzteilnehmern tausenden Gegendemonstranten gegenüber stand.
Eine demokratische Gesellschaft sollte diese Auseinandersetzungen aushalten können. Es kommt leider auch vor, dass sich die Polizei mancherorts, wie auch in diesem Falle in Köln passiert, überfordert fühlt und Entscheidungen trifft, die rechtlich auf einem wackeligen Boden stehen. Ich bin nicht der Meinung, dass die Polizei es sich mit dem Verbot leicht machen wollte. Aber eine konzeptionell gut vorbereitet Polizei hätte die Einhaltung des demokratischen Rechts auf Versammlungsfreiheit den beiden Seiten gewähren können.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Polizei in brenzligen Situationen den einfacheren Weg des Verbots geht. Das bräuchte sie eigentlich nicht, wenn die Polizeiführung sich ernsthaft und rechtzeitig um ein demokratiebewegtes Krisenmanagement bemühen würde. Die trotz des großen Medienrummels klein geratene Anti-Islam-Konferenz hat scheinbar die Versuchung der Polizei, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen und die Demonstration zu verbieten, gesteigert. Situationsbedingte Verbote auszusprechen, sieht das Polizeirecht unter strengen Auflagen vor. Auch das ist eine verfassungsrechtliche Realität, die im Konfliktfall wiederum auf dem Rechtsweg zu klären ist.

Das von „Pro Köln“ organisierten Anti-Islam-Treffen rechtsextremer Gruppen in Köln hatte ich als Versuch bezeichnet, Rechtsextreme aus ganz Europa in Köln zu versammeln, um Menschen islamischen Glaubens zu diffamieren, zu kriminalisieren und auszugrenzen. An dieser Bewertung ändert auch das polizeiliche Verbot nichts.

Mit freundlichen Grüßen

Claudia Roth

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