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Claudia Roth
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Frage von Herbert L. •

Frage an Claudia Roth von Herbert L. bezüglich Familie

Sehr geehrte Frau Roth,
wie stehen Sie zum alleinigen Sorgerecht lediger Mütter?
Vom Standpunkt der Kinder aus gesehen ist es doch unerheblich ob ihre Eltern verheiratet waren oder nicht, sie stehen vor der Tatsache, dass sich Mama und Papa getrennt haben. Bei Scheidungskindern wird das gemeinsame Sorgerecht fortgesetzt, bei Trennungen aus eheähnlichen Verhältnissen verbleibt das Sorgerecht bei der Mutter.
Ist angesichts unserer gesellschaftlichen Entwicklung diese Gesetzgebung noch Zeitgerecht?
Sollten nicht alle Kinder das gleiche Recht haben, wenn es um Entscheidungen geht, die ihre Zukunft betreffen?
Ist es im Sinne der Gesetzgebung, dass Mütter diese Rechtslage im Trennungsstreit instrumentalisieren ?
Kinder brauchen beide Eltern, egal ob getrennt, verheiratet oder ledig.

Mit freundlichen Grüssen
Herbert Loy

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Loy,

in den vergangenen Jahren ist die Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern in Deutschland deutlich um gut ein Viertel gestiegen. Dazu passt, dass jährlich gut 200.000 Kinder geboren werden, deren Eltern nicht miteinander verheiratet sind - fast ein Drittel aller in einem Jahr geborenen Kinder. Auch die Unterschiede in der Lebensweise zwischen Paaren, die verheiratet sind und denjenigen, die das nicht sind, werden immer geringer. Das bestehende Familienrecht aber macht deutliche Unterschiede. Immer mehr Eltern und Kinder sind daher auch von der gegenwärtigen Regelung des Sorgerechts bei Nichtverheirateten (§1626a BGB) betroffen.

Nach bestehendem Recht ist ein gemeinsames Sorgerecht für nichtverheiratete Eltern nur durch Abgabe einer gemeinsamen Sorgeerklärung möglich. Diese Erklärung ist unabhängig davon, ob die Eltern zusammenleben und gemeinsam Pflichten übernehmen. Weigert sich die Mutter, eine gemeinsame Sorgeerklärung abzugeben, hat der Vater des gemeinsamen Kindes keine Möglichkeit, das gemeinsame Sorgerecht gerichtlich herstellen zu lassen. Selbst dann nicht, wenn dies dem Kindeswohl am besten entspricht.

Eine andere Möglichkeit, die zum gemeinsamen Sorgerecht führt ist, dass die Eltern heiraten. Auch hier zeigen die Statistiken, dass die Zahl der Eltern, die nach der Geburt eines Kindes heiraten, kontinuierlich wachsen. Es liegt nahe, dass die Geburt des Kindes bei dieser Entscheidung von Bedeutung ist.

Seit der Kindschaftsrechtsreform 1998 haben sich die rechtlichen Voraussetzungen für die Situation nach der Trennung und Scheidung entscheidend verändert. Waren die Eltern miteinander verheiratet, war es lange Zeit so, dass zumeist die Mutter nach der Scheidung das alleinige Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder bzw. das gemeinsame Kind bekam. Mit der Reform wurde dann ein Paradigmenwechsel hin zum gemeinsamen Sorgerecht vollzogen: Auch nach einer Scheidung soll seitdem die gemeinsame Verantwortung für die Kinder weiter gelebt werden. Hintergrund ist das Recht der Kinder auf beide Eltern. Diesem Anspruch muss auch die rechtliche Regelung für Nichtverheiratete besser gerecht werden.

Ziel muss sein, eine neue Balance zwischen dem Wohl und Interesse des Kindes und beiden Eltern zu finden. Deshalb hat die grüne Bundestagsfraktion einen Antrag in den Bundestag eingebracht (Drucksache 16/9361). Unser Vorschlag würde dem Recht des Kindes auf beide Eltern mehr Geltung verschaffen. Es würde die Rechtsschutz- und damit die Gerechtigkeitslücke für die Väter geschlossen. Und wir würden dem Grundgedanken der UN-Kinderrechtskonvention gerecht.

Mit unserem Antrag legen wir vor, was sich als zwingende Konsequenz ergibt: Eine moderate Öffnung der jetzigen Regelung für die Väter. Können die Eltern in Sachen gemeinsames Sorgerecht keinen Konsens erzielen, sollte künftig dem Vater der Weg zum gemeinsamen Sorgerecht über eine gerichtliche Einzelfallentscheidung zugänglich gemacht werden. Durch diese Öffnung der bisherigen Regelung können Väter in allen begründeten Fällen ihre Rechte auch gegen den Willen der Mutter durchsetzen. Für Kinder wäre das Recht auf beide Eltern besser umgesetzt als bisher. Und im Interesse der Mütter wäre eine Prüfung ihrer Vorbehalte gegen die Sorgebeteiligung des Vaters gewährleistet. Sollte die Mutter die gemeinsame Sorge, wie vom Gesetzgeber in der bestehenden Regelung unterstellt, aus schwerwiegenden, kindeswohlschädlichen Gründen – etwa Gewaltausübung gegen sie oder das Kind - nicht befürworten, sollen diese Gründe auch in der Einzelfallprüfung Bestand haben.

Die Erfahrungen haben gezeigt, dass Paarkonflikte und Auseinandersetzungen, die die Elternebene betreffen, sich oftmals undifferenziert kanalisieren. Vielfach verbergen sich hinter den "Sachkonflikten" emotionale Verletzungen der Partner. Eltern brauchen in solchen schwierigen Lebenslagen Unterstützung.

Auch um die Zahl hoch strittiger Verhandlungen vor dem Familiengericht und die Eskalation von Konflikten möglichst niedrig zu halten, muss stärker als bisher im Vorfeld agiert werden. In der Praxis gibt es bisher viel zu wenig Angebote und Möglichkeiten, sich über die rechtlichen Rahmenbedingungen informieren und beraten zu lassen und sich im Streitfall moderierende Unterstützung zu holen. Deshalb schlägt der grüne Antrag vor, beiden Eltern offensiv und niedrigschwellig erreichbare, professionelle Unterstützung zur Klärung anzubieten.

Mit freundlichen Grüßen

Claudia Roth

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