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Claudia Roth
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Frage von TOBIAS R. •

Frage an Claudia Roth von TOBIAS R. bezüglich Recht

Liebes Büro-Team von Claudia Roth,

eine Frage zu Ihrer Antwort an Herrn Nehtsch:

Dass Ihnen die Akrobatik gelingt, in Ihrer Antwort Einwanderungspolitik und Flüchtlingen an der irakisch-syrischen Grenze thematisch derart miteinander zu vermischen, ist eine erstaunliche Leistung. Wir wenden uns dennoch zunächst mal den Fakten zu:

Die Grünen führen immer wieder das Wort von der ´modernen Einwanderungspolitk´ im Mund. Einwanderungsländer wie z.B. Kanada, Israel oder eben das erwähnte Australien haben sehr genau Vorstellungen davon, wer als Einwanderer infrage kommt und wer nicht.

In Deutschland ist die Defintition eines Profils für gewünschte Einwanderer bislang jedoch ein Tabu-Thema, sogar Sprachtests wurden von Ihrer Partei kritisiert.

Nennen Sie bitte die Qualifikationen, die Einwanderer Ihrer Meinung nach erfüllen müssen. Belegen Sie bitte auch, inwiefern Ihre Partei sich aktiv bei der Gestaltung einer modernen Einwanderungspolitik, die - wie in den genannten Staaten - in erster Linie die Interessen des Aufnahmelandes berücksichtigt bislang sinnhaft betätigt hat.

Mit freundlichen Grüßen, Tobias Rüger

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Rüger,

bis 1998 haben die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag und in den Landtagen diverse Initiativen gestartet und Gesetzentwürfe eingebracht, die aufgrund der notwendigen Mehrheiten nicht beschlossen werden konnten. Diese parlamentarischen Initiativen konnten zwar nicht zu den erwünschten Änderungen in der deutschen Einwanderungs- und Integrationspolitik führen, trugen aber mit dazu bei, dass sich Bündnis 90/Die Grünen als die politische Kraft mit großen Kompetenzen auf diesem Politikfeld behaupten konnte. Damit haben die Grünen immer wieder eines der größten Tabus der deutschen Innenpolitik, die Notwendigkeit einer umfassenden Integrationspolitik, gebrochen und die Lebenslüge der deutschen Gesellschaft, kein Einwanderungsland zu sein, als Selbstbetrug und Politikunfähigkeit der vorherrschenden Politik demaskiert.
Die Grünen waren in der rot-grünen Regierungskoalition die treibende Kraft bei der Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts. Angesichts der Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat konnten jedoch nicht alle programmatischen Vorstellungen umgesetzt werde. Aber so funktioniert die parlamentarische Demokratie, die es zu respektieren gilt. Auch das Zustandekommen eines neuen Zuwanderungsgesetzes war dem grünen Koalitionspartner zu verdanken. Mit diesem Zuwanderungsgesetz wurden die Eckpfeiler grüner Einwanderungspolitik umgesetzt:
- Die Zuwanderung von Höchstqualifizierte wurde verbessert
- Die Zuwanderung von Selbständigen wurde erleichtert.
- Und schließlich konnten ausländische Studienabsolventen nun ein Jahr lang einen studienfachbezogenen Arbeitsplatz suchen.

Im Zuwanderungsgesetz konnten wir zum Beispiel nicht umsetzen, den demografisch bedingten Bevölkerungsrückgang durch eine sogenannte Punktemigration – zumindest teilweise – zu kompensieren. Dieses Modell kommt dem von Ihnen angeführten Zuwanderungsmodellen aus Kanada und Australien am nächsten. Hierbei ging es darum, eine Regelung zu finden, die negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung, den Arbeitsmarkt und die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme in Deutschland reduziert. Denn ohne weitere Zuwanderung wird die Bevölkerung in Deutschland bis zum Jahr 2050 voraussichtlich von heute 82 Mio. auf weniger als 60 Mio. sinken.

Die Idee der sogenannten „demografischen Zuwanderung“ wurde in Deutschland erstmalig (mit Blick auf die nordamerikanischen Vorbilder) von der „Süßmuth-Kommission“ auf der Grundlage von soliden wissenschaftlichen Studien konzipiert. Diese Erkenntnisse wurde dann in den rot-grünen Zuwanderungsgesetzentwurf aufgenommen. Die Idee der demografischen Zuwanderung wurde damals (im Mai 2001) u. a. auch von der Zuwanderungskommission der CDU und im September 2003 von der „Herzog-Kommission“ der CDU („Zur Reform der sozialen Sicherungssysteme“) grundsätzlich unterstützt. Dennoch hat die CDU-Mehrheit im Bundesrat, aus wahlkampftaktischen Gründen, diesen Vorschlag aus dem Zuwanderungsgesetzentwurf gestrichen. Ebenso vom Bundesrat gestoppt wurden die integrationspolitischen Neuheiten, deren Umsetzung in den Zuständigkeitsbereich der Bundesländer fällt.

In der jetzigen Wahlperiode haben wir unsere Konzepte weiterentwickelt. Sie können sich über unsere parlamentarischen Initiativen zum Beispiel über diese Links informieren:

www.gruene-bundestag.de/cms/integration/rubrik/3/3738.integration.html
www.gruene-bundestag.de/cms/publikationen/dok/185185904.broschuere_gruene_integration.html

Unter anderen haben wir den Antrag „Zuzug von Hochqualifizierten erleichtern“ (BT-Drucksache 16/5116) auf Grundlage unserer damaligen rot-grünen Vorschläge in den Deutschen Bundestag eingebracht. Darin fordern wir:
- Einführung einer demografisch orientierten Zuwanderungsmöglichkeit mit Hilfe eines passgenauen Punktesystems
- Erleichterung des Zuzugs von Selbstständigen
- Absenkung der Einkommensschwelle für einen erleichterten Zuzug von Hochqualifizierten (von 85.000€ auf 60.000€)
- Beseitigung von Hindernissen für den Zugang qualifizierter ZuwandererInnen und ausländischer AbsolventInnen deutscher Hochschulen
- Freizügigkeit für Arbeitsuchende aus den neuen EU-Staaten (auf Grundlage unserer damaligen rot-grünen Vorschläge)

Zu Ihrer Anmerkung bezüglich unserer Kritik an Sprachtests ist folgendes zu sagen: Nicht die Tests lehnen wir ab, sondern im Wesentlichen die diskriminierende Passage im Gesetz, die Menschen mancher Herkunftsländer von der Pflicht ausnimmt. Abgesehen davon, dass die Tests auch in Deutschland durchgeführt werden können.

Mit freundlichen Grüßen

Das Büro-Team von Claudia Roth

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