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Claudia Roth
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Jan R. •

Frage an Claudia Roth von Jan R. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrte Frau Roth,

auch ich habe mit ziemlichen Unverständnis auf das Abstimmverhalten der Grünen im Bundestag und die Kritik am Abstimmungsverhalten im Bundesrat reagiert.

Wie der Herr Avci schon schreibt, ist es das demokratischste Verhalten, wenn man Bedenken gegen einen politischen Beschluß hat, diesen nicht zu unterstützen.
Es darf bezweifelt werden, daß die Abstimmung im Bundestag auch nur im Entferntesten die Stimmung in der Bevölkerung widerspiegelt.

Allgemein zu den Grünen möchte ich fragen, was seitens der Partei getan wurde, die (gescheiterte) EU-Verfassung und den Vertrag von Lissabon den Bürgern nahe zu bringen und wie Sie sich die ablehnende Haltung größerer Teile der Bevölkerung erklären.
Die zweite Frage: Wieso setzen sich die Grünen nicht mehr für die Basisdemokratie ein? Dies war ein Hauptelement des grünen Demokratieverständnisses. Gerade bei einer Frage mit solchem Gewicht muß man doch für eine Volksabstimmung plädieren.

Zum Abstimmverhalten Ihrerseits habe ich noch die Frage, ob Sie die ca. 600 Seiten (EU-Verfassung + Lissaboner Vertrag) durchgelesen haben. Die konsolidierte Fassung kam erst eine Woche nach der Bundestagsabstimmung.
(vgl.: http://video.google.de/videoplay?docid=5237879946330399901)
Noch eine Frage zum Demokratieverständnis: Wie die EU-Verfassung hat auch der Lissaboner Vertrag erhebliche Demokratiedefizite (auch wenn diese gemildert werden) (vgl: http://www.gruene-bundestag.de/cms/europaeische_union/dok/209/209547.der_vertrag_von_lissabon-seite~2.html) . Da aber sowohl die EU-Verfassung, wie auch die Lissaboner Verträge das Grundgerüst der EU darstellen, kann man es sich meiner Meinung nach nicht leisten, irgendwelche Demokratiedefizite zuzulassen. Diese müssen ausgeräumt werden.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Raddau,

mehrfach und unmissverständlich haben wir bei der Beantwortung zahlreicher Fragen im Themenbereich EU und EU-Vertrag klar gestellt, dass Bündnis 90/Die Grünen den Lissaboner Vertrag unterstützen. Deshalb haben die grünen Abgeordneten im Bundestag für die Ratifizierung des Vertrags gestimmt.

Die Grünen haben im Rahmen ihrer politischen Arbeit und Programmatik intensiv für eine transparentere, demokratischere und handlungsfähigere EU geworben. Der Lissaboner Vertrag ist ein wichtiger Schritt in diese richtige Richtung. Die meistens nationalistisch motivierten Gegner der EU missbrauchen die innenpolitischen Konflikte und Probleme in den jeweiligen Ländern, um den Eindruck einer europaweit EU-skeptischen Stimmung zu suggerieren.

Die Grünen setzen sich weiterhin für die Stärkung von Elementen der direkten Demokratie ein. Aber an der irischen Ablehnung des EU-Vertrags einen Fortschritt in diesem Bereich festmachen zu wollen, überzeugt uns nicht. Ein Fortschritt wäre es zum Beispiel, alle EuropäerInnen gleichzeitig an einem europaweiten Referendum teilnehmen zu lassen. Dafür müssten jedoch erst die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Die Forderungen, den Vertrag abzulehnen, sind Versuche, den Status quo und die gegenwärtige Situation in der EU zu idealisieren. Aber der Status quo, der nun mit der Ablehnung des EU-Vertrags hochgehalten werden soll, ist in keinem Punkt fortschrittlicher und demokratischer als eine EU, die nach den Regeln des Vertrags gestaltet werden würde. Die über 600 Seiten des Vertrags wurden natürlich sehr genau gelesen, aber nicht wie ein Roman durch eine Person, sondern abhängig von inhaltlichen Kapiteln in den jeweiligen Facharbeitsgremien der Bundestagsfraktion. Hinzu kommt die grüne Fraktion im Europaparlament, die den Vertrag seit Jahren zum Schwerpunkt ihrer Arbeit hatte. Grüne PolitikerInnen kennen daher den Vertrag und seine Konsequenzen hinreichend und detailliert. So sind übrigens die Gepflogenheiten der parlamentarischen Arbeit auch bei anderen größeren Gesetzesvorhaben. Dass der Vertrag sich nicht wie aus einem Guss liest, ist darauf zurückzuführen, dass er das Ergebnis von schwierigen Kompromissen unter den 27 Mitgliedsstaaten ist.

Mit freundlichen Grüßen

Das Büro-Team von Claudia Roth

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