Frage an Claudia Roth von Ralf B. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Roth,
gerne möchte ich Ihre Meinung zu Folgendem wissen:
Ich bin Student und habe einen relativ alten Vater. Dieser hat gut 45 Jahre auf dem Bau gearbeitet. Er bekommt nunmehr, mit 65 Jahren (nachdem er mit 61 Jahren arbeitslos geworden war), eine Rente von netto knapp 1.000 €.
Ich mache mir schon Sorgen um meine Eltern, die kein weiteres Einkommen haben. Diese Sorge beruht v.a. darauf, dass Rentner wie mein Vater nunmehr seit mehreren Jahren drastische tatsächliche Kaufkraftverluste hinnehmen müssen. Da es keine an die Inflation gekoppelte Rentenerhöhung mehr gibt, sinkt die Kaufkraft jährlich.
Gestiegene Gesundheitsausgaben kommen hinzu. Darüber hinaus ist besorgniserregend, dass die Teuerung bei Lebensmitteln, die einen relativ hohen Anteil an den Ausgaben eines Rentnerhaushalts ausmachen, höher ist als die durchschnittliche Inflation.
Gerade Renter wie mein Vater, die eine geringe Rente beziehen und einen Großteil für Lebensmittel ausgehen, sind also besonders hart betroffen von der "Rentenreform". Mehr noch: Kaufkraftverluste von 10% und mehr in den nächsten 5, 6 Jahren könnten diese Rentner trotz lebenslanger Arbeit zu "Bedürftigen" und "Bittstellern" degradieren.
Ich möchte wissen:
1. Müssen die Generationengerechtigkeit auf der einen Seite (die in Ansehung der demographischen Entwicklung natürlich zu Änderungen zwingt) und die Interessen gerade von Rentern mit geringen Bezügen auf der anderen Seite nicht anders abgewogen werden als bisher?
2. Wäre es nicht gerecht, kleine Renten so zu erhöhen, dass zumindest die steigenden Preise für Lebensmittel berücksichtigt werden?
3. Wäre es nicht gerecht, hohe Renten nicht zu erhöhen, geringe aber schon (also die Bezieher hoher Renten mit den Lasten des "Generationenausgleichs" stärker zu belasten, wie es das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes durchaus zulässt)?
Mit besten Grüßen,
Ralf Bandemer
Sehr geehrter Herr Bandemer,
Ihre Beschreibungen treffen wahrscheinlich in sehr vielen Fällen in Deutschland zu. Unseres Erachtens handelt die Bundesregierung bei der aktuellen Rentenanpassung unverantwortlich. Denn sie handelt nicht in Sorge um die Rentnerinnen und Rentner. Die Bundesregierung hat vor allen Dingen die nächste Wahl vor Augen und möchte auf diese Weise Wahlgeschenke verteilen. Allerdings sollen diese Wahlgeschenke von den Rentnerinnen und Rentnern selbst bezahlt werden. Denn das Geld, das sie 2008 und 2009 bekommen werden, sollen sie ab 2011 wieder zurückzahlen. Dann sollen die Elemente der Rentenformel, die jetzt außer Kraft gesetzt werden, wieder in Kraft treten. Für die ältere Generation ist es letztlich ein Darlehen.
Die junge Generation sieht es zu Recht kritisch, ob sie nun Jahr für Jahr mit einer solchen Debatte rechnen muss, wenn die Rentenerhöhung der Regierung (für eine Wahl) nicht groß genug ausfällt. Die Bundesregierung hat sich ihre Probleme selbst geschaffen. Mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer hat sie zu dem starken Anstieg der Preise beigetragen, unter dem nun die Rentnerinnen und Rentner, wie auch viele andere, zu leiden haben. Im vergangenen Jahr hat sie den Beitragssatz zur Rentenversicherung von 19,5 auf 19,9 Prozentpunkte erhöht. Das mindert im Jahr 2008 die Rentenanpassung. Hätte die Regierung darauf verzichtet, dann könnte die Rentenanpassung 2008 mehr als doppelt so hoch ausfallen. Das wäre auch den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern zu Gute gekommen. Und auch die Langzeitarbeitslosen hätten profitiert, denn für sie hat die Bundesregierung die Zahlungen an die Rentenversicherung im vergangenen Jahr halbiert.
Wesentliches Problem für die Entwicklung der Renten heute und morgen ist
die Entwicklung der Löhne in Deutschland. In keinem anderen Land Europas
ist die Lohnspreizung mittlerweile so ausgeprägt wie in Deutschland. Das
Hin und Her um den Mindestlohn muss endlich ein Ende haben. Mindestlöhne
für alle, das ist das grüne Ziel.
Bisher hat die Bundesregierung so getan, als ob die bessere Konjunktur alle rentenpolitischen Probleme lösen würde. Das Problem künftig steigender Altersarmut wurde mit Verweis auf den Mindestlohn ignoriert. Dabei müsste jemand mit einem Mindestlohn von 7,50 Euro 47 Jahre lang in die Rentenkassen einzahlen, um eine Rente auf Grundsicherungsniveau zu erhalten. Wir setzen uns dafür ein, dass der Schutz vor Armut in der gesetzlichen Rentenversicherung verbessert wird. Jemand, der ein Leben lang in die Rentenversicherung eingezahlt hat, muss im Alter sicher vor Armut geschützt sein.
Altersvorsorge muss langfristig verlässlich sein und einen fairen Ausgleich zwischen der jungen und der älteren Generation schaffen. Die Rentnerinnen und Rentner haben durch ihre Lebensarbeit einen berechtigten Anspruch auf eine angemessene Altersversorgung erworben. Aber auch die Belastungen durch Beiträge dürfen nicht ständig steigen. Ein umlagefinanziertes Rentensystem wie die gesetzliche Rentenversicherung kann dauerhaft nur funktionieren, wenn die nachfolgenden Generationen in der Lage und gewillt sind, die Renten der heutigen Beitragszahler zu finanzieren. Seit Jahrzehnten vollziehen sich Entwicklungen, welche den Altersaufbau der Bevölkerung verändern: Die Geburtenrate bleibt hinter dem zurück, was zur Stabilisierung der Bevölkerungszahl erforderlich wäre, die Lebenserwartung steigt. Die verbreitete Praxis des vorgezogenen Ruhestands führt zu einer faktischen Senkung des Renteneintrittsalters. Der Anteil der Älteren bzw. der Rentnerinnen und Rentner hat sich fortlaufend erhöht. Die finanziellen Forderungen gegenüber den Beitragszahlern sind gestiegen und werden für die kommenden Generationen noch zunehmen. Die grüne Bundestagsfraktion will den Bürgerinnen und Bürgern keine unrealistischen Versprechungen machen. Das unterscheidet uns von Parteien, die auf Versprechungen spezialisiert sind.
Die Menschen, welche bereits im Ruhestand sind und in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen werden, leisten ihren Beitrag zur Stabilisierung der gesetzlichen Rentenversicherung, indem sie akzeptieren, dass ihre Renten langsamer steigen werden als sie ohne Reformen gestiegen wären. Die heute junge Generation leistet ebenfalls ihren Beitrag zur Stabilisierung der gesetzlichen Rentenversicherung, indem sie zusätzlich vorsorgt. Die ergänzende Vorsorge kann und soll ihren Lebensstandard teilweise sichern. Auf diese Weise können die Ausgaben kommender Generationen für die gesetzliche Rentenversicherung begrenzt werden, kann jedoch nicht verhindern, dass die die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung höher ausfallen als für jede Generation zuvor.
Die Probleme der kleinen Renten sind nicht mit willkürlichen Änderungen der Rentenformel zu beseitigen. Die höheren Renten werden bereits gestaffelt besteuert, andere flankierende sozialpolitische Maßnahmen sind erforderlich, um das Alltagsleben der EmpfängerInnen von Kleinrenten, wie eingangs zum Beispiel mit der Kritik an der Erhöhung der Mehrwertsteuer erwähnt, zu erleichtern.
Mit freundlichen Grüßen
Das Büro-Team von Claudia Roth