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Claudia Roth
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Frage von robert s. •

Frage an Claudia Roth von robert s. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Spiegel Bericht 12/2008

Sehr geehrte Frau Roth

Ich schreibe diese Anfrage an Sie, da ich Sie sehr schätze. Sie haben Persönlichkeit und ein weltoffenes Verständnis. Zumal haben Sie in Interviews Ihre enge Verbindung zur Türke bekundet.

(Hintergrund Spiegel Bericht 12-2008 Religion - Prüfstein der Tolleranz)
Ich muss gestehen, dass ich bis jetzt immer angenommen hatte, dass die Christen in der Türkei fair behandelt und in die Gesellschaft integriert sind.

Dieser Bericht aus dem Spiegel (12/2008) hat mich schockiert.

Wir in Deutschland bemühen uns den Muslimen mit Verständnis entgegenzukommen. Selbst viele Deutsche setzten sich für den Bau von Moscheen ein. Dabei sind die Hauptansprechpartner auf Muslimischer Seite im Wesentlichen die vom Türkischen Staat unterstützen Gruppierungen. Auch der Türkische Staat schaltet sich immer wieder hier pro-aktiv ein.

Aber was passiert mit Christen in der Türkei. Man sollte / muss den Spiegel Artikel lesen.
Bis 1920 gab es 20% Christen in der Türkei. Heute sind es 0,1 %. Priester und Pfarrer dürfen nicht offiziell ihr Amt wahrnehmen. In der Paulus Kirche müssen Gläubige Gottesdienste anmelden, die Utensilien mitbringen und Eintritt zahlen. Türkischen Christen sind höhere Ämter im Staat nicht offen.

Aus meiner Sicht ist dies eine typische Situation. Wir geben nur, lassen uns immer einschüchtern und fordern nicht selbstbewusst für die Christen in der Türkei jene Religionsrechte, die von den türkischen Verbänden für die Muslime in Deutschland gefordert werden.

Für mich, wieder ein Zeichen der Schwäche unserer Gesellschaft .

Liebe Frau Roth, da Sie sehr gute Kontakte in die Türkei haben, würde ich mich freuen, wenn Sie sich auch für die Rechte der Christein in der Türkei einsetzen könnten.

Über Ihre Stellungnahme würde ich mich sehr freuen.

Gruß

Robert M. Schmidt
Möhrendorf

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Sehr geehrter Herr Schmidt,

nicht schlimm, dass Sie so spät auf die schwierige Lage der Minderheiten in der Türkei aufmerksam geworden sind. Alle, die die Entwicklungen und politischen Auseinandersetzungen in der Türkei sowie die Debatte um die Reformen und die Demokratisierung der Türkei verfolgen, wissen, wie der rechtliche Status von religiösen, ethnischen und anderen Minderheiten in der Türkei ist. Erst im Zuge der EU-Annäherung und des begonnenen EU-Beitrittsprozesses sind die Chancen auf die Realisierung einer rechtstaatlichen Modernisierung der Türkei und dadurch auch auf die Gewährung von umfassenden Rechten für alle Minderheiten gewachsen. In meinem menschenrechtlichen Engagement im Europaparlament bzw. in der Türkei habe ich die rechtliche Ungleichbehandlung von diversen Minderheiten in der Türkei immer offen thematisiert und kritisiert. Die Behauptungen von kemalistischen Nationalisten, die alte Türkei sei ein säkularer Staat, haben nie gestimmt. Insbesondere nach dem Militärputsch Anfang der 80er Jahre wurde in der Türkei eine Art Staatsreligion erschaffen, die über allen anderen Religionsgemeinschaften steht. Dies ist ein unhaltbarer und inakzeptabler Zustand, wenn die Türkei Mitglied der EU werden soll.
Ihr Vorschlag, als Reaktion das Gleiche hier in Deutschland zu tun, und genau wie der türkische Staat die Rechte religiöser Minderheiten zu beschneiden, führt in eine Sackgasse. Der Rechtsstaat kann und darf keine grundgesetzlich verbrieften Rechte beschneiden, weil irgendein Staat in der internationalen Gemeinschaft diese Rechte missachtet. Das Prinzip „Auge um Auge“ ist hierbei völlig abwegig und hätte einen klaren Verlierer, das wäre nämlich unsere Demokratie. Die Maßgaben des Handelns in unserer Demokratie sind die Grundwerte und Grundfreiheiten und nicht die Einschränkungen in anderen Staaten.

Mit freundlichen Grüßen

Claudia Roth

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