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Claudia Roth
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Frage von Uwe S. •

Frage an Claudia Roth von Uwe S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Roth,

wir haben so manche Gemeinsamkeiten. Wir sind für mehr Demokratie, mehr Freiheit, für die Einhaltung der Menschenrechte weltweit. Für die Gleichberechtigung der Geschlechter, für die Akzeptanz der Homosexualität und für Religionsfreiheit. Jeder kann an einen oder mehrere Götter glauben, an das rosa Einhorn, an das Spaghettimonster, an Russel´s Teekanne oder eben - wie ich - an gar nichts.
Wie beurteilen Sie eine Religion - der Islam - , die sich nicht nur als private Spiritualität, sondern vielmehr eine das gesamte gesellschaftliche Leben regelnde Institution begreift.
Eine Institution, die in der Theorie (Koran) und in der Praxis (Saudi-Arabien, Iran, Afghanistan u.a.) Juden und Christen als Untermenschen am Leben läßt. Die bekennende Atheisten und Apostaten mit dem Tode bedroht.
Wie beurteilen Sie eine Religion, die die Menschenrechte nur unter dem Vorbehalt der Scharia akzeptiert? Vgl. Kairoer Erklärung.
Wie beurteilen Sie eine Religion, die den minderen Status der Frau fordert? Wie beurteilen Sie eine Religion, die eine weltliche Regierung nicht akzeptiert?
Glauben Sie wirklich, dass man zwischen Islam und Islamismus unterscheiden kann? Das Problem ist der Koran als offenbartes und unveränderliches Wort Gottes, welcher somit einer Hermeneutik entzogen ist. Ein islamischer Gadamer käme in eine ähnlich unerfreuliche Situation wie Salman Rushdie oder Ayaan Hirsi Ali.
Sie sind Sie tatsächlich der Auffassung, dass wegen des friedlichen Zusammenlebens auf Religionskritik verzichtet werden muss? Ich denke, dass müssen die aushalten.
Ich bin davon überzeugt, dass jeder Demokrat seine Religion bzw. Religionslosigkeit, seine Freiheit und die Demokratie offensiv gegenüber dem Islam zu verteidigen hat.

Mit gebührender Hochachtung
Uwe Schärf

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Schärf,

als Abgeordnete und Parteipolitikerin beurteile ich zu allererst die politische Programmatik von Parteien und gesellschaftlichen Gruppierungen. Religionen zu beurteilen, ist keine explizit politische Aufgabe, sondern entweder eine persönliche Auseinandersetzung oder eine wissenschaftliche bzw. kulturelle Beschäftigung mit ihnen. Politik hat die Aufgabe, für eine umfassende Religions-, Rede- und Meinungsfreiheit zu sorgen und diese Rechte zu schützen. Politik ist dann aufgefordert, sich zu äußern, wenn sich religiöse Institutionen oder Vertreter von Religionsgemeinschaften in die gesellschaftspolitische Debatten einbringen und so als Verbündete oder Gegner positionieren.

Die Lage der Menschenrechte in den Ländern wie Saudi Arabien oder Iran ist der herrschenden Politik vor Ort geschuldet und die Leidtragenden sind nicht nur die religiösen Minderheiten, sondern die übergroße Mehrheit der Bevölkerung. Dies kann nicht an der Religion liegen, wenn man sich unterschiedliche historische Perioden in der Entwicklung dieser Länder anschaut. Außerdem gleicht kein Land mit der Mehrheitsreligion Islam dem anderen, weder politisch noch sozial-ökonomisch. Natürlich und sicher muss zwischen Islam und Islamismus unterschieden werden. Islamismus bedeutet den Verlust von Religion zugunsten der Politik, wie übrigens auch bei jeder anderen Art von Fundamentalismus. Wenn Terroranschläge im Namen der Religion verübt oder Folter und Tötungen im Namen Gottes legitimiert werden, so hat sich die weltliche, konkrete Sphäre der Politik soweit in die Domäne der Religion hinein überdehnt, dass letztlich nichts mehr von Religion übrig bleibt. Islamistischer Fundamentalismus bedeutet nicht Religion, sondern ist Ausdruck einer verweltlichten und damit religiös pervertierten Ideologie.

Unter den islamischen Theologen gibt es viele Hermeneutiker, die Interessierten bekannt sein dürften. Salman Rushdie und Ayaan Hirsi Ali sollten alle Freiheiten haben, ihre Sicht der Dinge darzustellen. Sie sind aber keine Theologen, die einen reformorientierten innerislamischen Diskurs voranbringen können.

Natürlich brauchen wir Religionskritik genauso wie Religionsfreiheit. Sie bedingen sich gegenseitig. Eine Religionskritik würde ihre Ziele aber verfehlen, wenn sie sich am Ende auf Ausgrenzung von Gläubigen, Einschränkung ihrer Rechte und den Generalverdacht gegen sie reduzieren
würde.

Mit freundlichen Grüßen

Claudia Roth

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