Frage an Claudia Roth von Ursula N. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Roth,
warum denken Sie, dass in meiner Frage Vorurteile zum Tragen kommen? Warum ist es in Deutschland ein Problem, zumindest werten es offenbar einige Politiker als solches, sich dahingehend zu äußern, dass man Zuwanderung als nicht in allen Fällen bereichernd erlebt?
Mir kommt es so vor, als gäbe es vorgefertigte Antworten und wenn man nur ein wenig davon abweicht, wird einem Rassismus unterstellt (oftmals leider durch anscheinende Unkennntnis des Begriffes völlig unberechtigt) oder dass man Vorurteile habe.
Es gibt übrigens genügend Formulare der deutschen Staates, auf dem ich meine Staatsangehörigkeit angeben muss. Ist diese vielleicht doch wichtig?
Sie geben an, dass z. B. Bildungsferne ein Problem bei der Intergration sein kann. In diesem Zusammenhang fällt mir Australien ein, das derzeit wieder ganz gezielt Zuwanderer bestimmter Herkunft (Europa) und mit bestimmten Berufen (Techniker, Handwerker, Krankenschwestern) sucht. Ist das nicht ein Konzept, welches auch in Deutschland möglich wäre oder gar schon ist?
In meiner Familie sind Dänen, Niederländer und Briten wahrhaft friedlich vereint. Ihre Einschätzung, dass ich Vorurteilen gegenüber Ausländern erliege, ist leider nicht richtig. Viele Menschen in diesem Land haben schon eine reale Einschätzung der Sachlage, auch wenn sie nicht Politiker sind.
Mit freundlichen Grüßen
Ursula Nurkowski
Sehr geehrte Frau Nurkowski,
darüber zu diskutieren, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist oder nicht, ob wir Zuwanderung brauchen oder nicht, ist kein Tabubruch, es ist sogar eine demokratisch notwendige und legitime Debatte. Diese Diskussionen führen wir gerne. Was aber nicht akzeptabel ist, sind Ausgrenzungen, Diskriminierungen und Diffamierung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft, sozialer Zugehörigkeit, Religion, Sexualität und Hautfarbe. Ebenso kein Tabu ist es, offene und transparente Kriterien aufzustellen, welche Menschen als Arbeitskräfte und Spezialisten das Land braucht und sie umwerben sollte. Der Begriff Arbeitsmigration ist ja ein alt bekannter Begriff. Dabei geht es nicht um Herkunft der Menschen, sondern um ihre Qualifikationen. Mag sein, dass Sie die Haltung von manchen politischen Kräften in Australien teilen, die Einwanderung von Menschen bestimmter „Herkunft“ zu propagieren. Die Realität in Australien sieht aber anders aus. Eine herkunftsgeleitete Selektion von Einwanderungswilligen ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt, sowohl in der Praxis als auch in der Zielsetzung.
Bündnis 90/ Die Grünen setzen sich nach wie vor für Einwanderung nach einem Punktesystem ein, wie es schon von der rot-grünen Bundesregierung vorgeschlagen worden war – übrigens in Übereinstimmung mit den Empfehlungen der Süßmuth-Kommission und der Herzog-Kommission der CDU. Leider ist die Große Koalition nicht willens, einen solch großen Schritt hin zu einer Reform der Zuwanderung zu unternehmen. Die Große Koalition begnügt sich mit kurzfristigen Notprogrammen und Flickschusterei, die das Problem nicht nachhaltig lösen.
Selbstverständlich haben Menschen eine oder mehrere Staatsangehörigkeiten, mit allen davon abzuleitenden Rechten und Pflichten. Die bundesrepublikanische Einwanderungsgeschichte ist eine Realität mit vielen Gesichtern. Millionen Menschen, die vor Jahrzehnten hierher gekommen sind, und ihre Nachfahren geben genauso wie Sie beim Ausfüllen von Formularen an, deutsche Staatsangehörige zu sein. Sie sehen, dass die Vergangenheit sich nicht zurück wünschen lässt. Was die Zukunft der Einwanderung in Deutschland angeht, sind wir mitten in den Debatten.
Mit freundlichen Grüßen
Das Büro-Team von Claudia Roth