Frage an Claudia Roth von Frank L. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Roth,
wissen Sie um die Möglichkeiten deutscher Banken, Hypothekenkredite an Hedge Fonds und andere "Heuschrecken" weiterverkaufen zu können? Seitdem ich dies vor ein paar Wochen in Erfahrung gebracht habe, schlafe ich abends schlechter ein.
Seien Sie versichert, dass ich weder die SPD noch die Grünen jemals wieder wählen werde, und dies wo immer möglich verkünden werde. Wer die Existenz meiner Familie auch nur annähernd in Gefahr bringt, hat von mir nichts mehr zu erwarten.
Sollten Sie mittlerweile an Wegen arbeiten, die dies rückgängig machen, bin ich sehr interessiert an einer aufklärenden Antwort.
Ich schreibe Ihnen stellvertretend für alle Grünen, die diesen Misstand zu verantworten haben (vgl. Link http://f28.parsimony.net/forum68339/messages/25925.htm ).
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr Ladwig,
trotz unserer begründeten Skepsis über Behauptungen, die in manchen Internetforen einfach in den Raum gestellt und meistens nicht hinterfragt werden, haben wir Ihre Frage an die Fachreferate unserer Fraktion mit der Bitte um Überprüfung und Antwort weitergeleitet. Der Antwort können Sie entnehmen, dass Ihre Frage auch sachlich, ohne Polemik und Beschimpfungsrituale hätte gestellt werden können.
Das Thema „Hypothekenkrediten und das Agieren von Hedge-Fonds“ ist sehr vielschichtig. Denn einerseits ist das Bedürfnis der Banken anzuerkennen, die als Sicherheit gewährten Immobilien auch zu verwerten, also im Extremfall eine Zwangsversteigerung durchzusetzen. Ebenso sinnvoll ist es, dass die Banken zumindest notleidende Kredite auslagern oder verkaufen können, um die Entlastung ihrer Bilanzen und dadurch die Vergabe neuer Kredite zu günstigen Konditionen zu ermöglichen. Das ist gerade auch im Interesse von Kundinnen und Kunden der Banken. Nicht zuletzt aus diesem Grund hatte die rot-grüne Regierung 2002 neue gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen.
Andererseits muss natürlich sichergestellt werden, dass bei einem Verkauf von Krediten die neuen Inhaber keine Missbrauchsmöglichkeiten haben. Und hier hat sich in den letzten zwei Jahren die wirtschaftliche Realität in Deutschland massiv verändert. Am Markt sind neue Finanzinvestoren aufgetreten, die sogenannten „Heuschrecken“, die zum Zeitpunkt der damaligen Gesetzgebung noch kein Thema waren. Für sie stellt eine Grundschuld nicht die Sicherheit für die Kreditgewährung dar, sondern ist ein Anlageprodukt, aus dem so viel wie möglich herausgeholt werden soll. Auf ein solches Geschäftsgebaren bietet die geltende Rechtsordnung keine angemessene Antwort. Viel zu oft werden Menschen in die Zwangsvollstreckung getrieben – teilweise wohl auch dann, wenn sie ihren Kredit stets ordnungsgemäß bedient haben. Diese Exzesse haben – unabhängig von jüngeren Gesetzesänderungen – mit dem geltenden Recht der Grundschuld zu tun, das seit mehr als 100 Jahren im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert ist, heute aber anders genutzt wird als früher. Vor allem durch die Berichterstattung von Plusminus in der ARD ist auf das Problem hingewiesen worden, dass die Grundschuld, die typischerweise zur Besicherung von Immobilienkrediten dient, losgelöst von der zugrunde liegenden Darlehensforderung verwertbar ist. Das bedeutet, dass auch bei ordnungsgemäßer Zahlung von Zins und Tilgung an die Bank ein Käufer der Grundschuld auftauchen und seine Rechte einfordern kann. Weil in den meisten Verträgen die sofortige Unterwerfung unter die Zwangsvollstreckung vereinbart ist, kommt es dann schnell zu dieser Zwangsvollstreckung. Der Sicherungsvertrag zwischen Bank und Kreditnehmer, der eine vorzeitige Verwertung üblicherweise verhindert, gilt nicht im Verhältnis zwischen dem Käufer der Grundschuld und dem Kreditnehmer.
Was ist zu tun? Die Tatsache, dass die Grundschuld ursprünglich bewusst als Gegenstück zur Hypothek umlauffähiger ausgestaltet wurde, darf unseres Erachtens heute kein Hinderungsgrund sein, wenn es um den Schutz der Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer geht. Daher haben wir am 13. Juni 2007 einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der eine Veränderung der Gesetzeslage vorschlägt. Die starke Grundschuldbesicherung in den Händen von Investoren, die an kurzfristiger Rendite orientiert sind, muss beschränkt werden. Die Einräumung einer Grundschuld in Verbindung mit der Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung ist ein Rechtsgeschäft, das von derart persönlichem Vertrauen gekennzeichnet ist, dass es nicht einseitig durch die berechtigte Bank veräußerbar sein kann. Daneben sind auch Fragen des Datenschutzes und Informationspflichten gegenüber den Kreditnehmern und vor allem der Schutz der Betroffenen in der Zwangsvollstreckung neu zu regeln. Dieser Antrag, aber auch ein nicht-öffentliches Fachgespräch im Finanzausschuss, das auf unsere Anregung hin statt fand, haben dazu beigetragen, den politischen Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen. Deshalb wollen die Koalitionsfraktionen inzwischen in einem sogenannten Risikobegrenzungsgesetz auf die Problematik reagieren. Noch ist aber völlig unklar, was in diesem Gesetz stehen wird. Eine Anhörung von Sachverständigen dazu wird im Finanzausschuss am 23. Januar 2008 erfolgen. Wir werden uns im Verlauf des parlamentarischen Verfahrens dafür einsetzen, dass Betroffene frühzeitig informiert sind, die Missbrauchsmöglichkeiten verhindert werden und der Schutz der Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer deutlich verbessert wird. Dazu gehört für uns eine klare Definition, welche Kredite als notleidend zu betrachten sind. Für nicht notleidende Kredite soll der Verkauf an die Zustimmung des Kreditnehmenden gebunden sein. Für notleidende Kredite wollen wir durch einen obligatorischen Sanierungsversuch Zwangsvollstreckungen wieder auf das beschränken, was sie früher waren – das letztmögliche Mittel zum Eintreiben von Schulden, wenn Kredite nicht mehr bedient wurden. So wollen wir vermeiden, dass Menschen aufgrund verantwortungslosen Profitstrebens anderer in die Überschuldung getrieben werden.
Mit freundlichen Grüßen
Das Büro-Team von Claudia Roth