Frage an Claudia Roth von Uwe B. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Liebe Frau Roth,
was sagen Sie eigentlich zur schlimmen Lage in Afghanistan und der praktisch nicht vorhandenen Informationspolitik der Merkel-Bundesregierung?
Wie ich in der Sueddeutschen lese, gab es dieses Jahr bereits 130 Selbstmordattentate dort und die Taliban sind inzwischen, so auch von Herrn Erös bestätigt, extrem weit vorgedrungen wieder im Land.
Danke fuer eine Antwort und herzliche Gruesse Uwe Brandt
Sehr geehrter Herr Brandt,
vielen Dank für Ihr Interesse an der Entwicklung in Afghanistan. Die Ergebnisse der vor kurzem veröffentlichten Umfrage des Afghan Center for Social and Opinion Research in Kabul im Auftrag von ABC News, ARD und BBC haben trotz aller Unzulänglichkeiten deutlich gemacht, dass die in allen Landesteilen befragten Afghaninnen und Afghanen die Entwicklung Afghanistans im Unterschied zur äußerst düsteren Außenwahrnehmung viel positiver bewerten. Die Präsenz von ISAF- und auch US-Truppen wird unterstützt. Die Taliban werden zunehmend als Gefahr gesehen und nur von einer kleinen Minderheit befürwortet. Damit unterscheidet sich das Meinungsbild grundlegend von dem im Irak, das durch Hoffnungslosigkeit geprägt ist. Die Umfrage legt auch die eklatanten regionalen Unterschiede zwischen dem afghanischen Norden und Süden offen. Im Süden und Südwesten treten beunruhigende Trends zutage wie die wachsende Zustimmung zu Anschlägen.
Deutschland genießt unverändert das höchste Ansehen in der afghanischen Bevölkerung. Wenn Deutschland aber die Aktivitäten beim Aufbau der Polizei, der Infrastruktur und der Grundversorgung nicht spürbar ausweitet, droht dieser hohe Vertrauensvorschuss schnell verloren zu gehen. Denn die Präsenz der lokalen Polizei im Norden hat sich nach Einschätzung der Befragten ebenso verschlechtert wie die Versorgung mit Elektrizität, der Zugang zu sauberem Wasser und zu erschwinglichen Nahrungsmitteln. Die Afghanen haben ihr Land noch längst nicht verloren gegeben. Aber sie brauchen zügigere, energischere und rücksichtsvollere Unterstützung. Die Bundesregierung und die Staatengemeinschaft lassen das aber vermissen. Deshalb sind die Forderungen an die Bundesregierung, am zivilen und polizeilichen Aufbauprozess, der den Kern des deutschen und internationalen Engagements ausmachen müsste, festzuhalten, ihn zu intensivieren und einen glaubwürdigen zivilen Kurswechsel einzuleiten, weiterhin aktuell. Wenn Deutschland im nächsten Jahr seine Hilfe verdoppeln würde und sich danach zum Ziel setzte, mindestens ebenso viel in den zivilen und polizeilichen Bereich zu investieren, wie in den militärischen, wäre schon viel getan. Aber insgesamt brauchen wir eine bessere nationale und internationale Koordinierung und Schwerpunktsetzung. Die Hilfe muss bei den Afghaninnen und Afghanen und nicht vorrangig bei den Hilfsorganisationen und Geberländern ankommen.
Mit freundlichen Grüßen
Claudia Roth