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Claudia Roth
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Frage von Sebastian J. •

Frage an Claudia Roth von Sebastian J. bezüglich Recht

Sehr geehrte Frau Roth

Vielen Dank für ihr ausführliche Antwort.
Es mag ihrer selektiven Wahrnehmung entgangen sein, aber es kam erneut zu einem Zwischenfall , der dem in Mügeln ähnlich ist.
Hier ein Auszug aus dem Bonner Generalanzeiger:

"Um 21.30 Uhr hatten rund 30 Schülerinnen und Schüler im Alter zwischen 18 und 22 Jahren die Veranstaltung in der Stadthalle verlassen und waren in den Kurpark gegangen, um weiter zu feiern, berichtete die Polizei. Nach bisherigen Erkenntnissen sei die Gruppe dort gegen 22 Uhr "ohne einen erkennbaren Grund" zunächst von einigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen angegriffen, getreten und geschlagen worden.

Dann seien weitere Schläger dazugekommen. Einige Täter hätten Flaschen dabei gehabt, einer einen Baseballschläger. Die Schüler riefen um Hilfe, alarmierten die Polizei. Nach knapp fünf Minuten waren die ersten beiden Streifenwagen am Tatort, es folgten weitere Funkwagen.

Die Leitstelle beorderte immer mehr Kräfte in den Kurpark, auch Beamte der Einsatzhundertschaft rückten an. Insgesamt umfasste das Aufgebot 50 Polizisten. Doch die Täter waren weg. Sie hatten in Windeseile das Weite gesucht. Auch eine Fahndung im Umkreis bringt keinen Erfolg.

Bei der Schlägerei wurden elf Schüler laut Polizei leicht verletzt. Sie wurden ambulant behandelt. Noch am späten Abend befragten Beamte die Schüler und suchten am Tatort nach Spuren. Bei den Tätern, so haben die Opfer der Polizei berichtet, soll es sich um Türken und Marokkaner handeln."

Haben sie auf einmal Vertrauen in unseren Rechtsstaat, oder wieso sorgen sie nicht für mediale Präsenz dieser Tat? Der Fall in Mügeln ist auch ohne ihre Empörung in der Zeitung gelandet. Hier würde ein mutiger Politiker Not tun, der den Finger in die Wunde legt. Meinen sie, dass die Äußerungen der prügelnden Ausländer weniger schlimm waren, als die der Täter in Mügeln? Ist ein prügelnder Deutscher, der gezielt Ausländer angreift, schlimmer als ein Ausländer, der gezielt Deutsche angreift?

Vielen Dank S. Jung

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Jung,

täglich berichten Zeitungen und Medien über Schlägereien, Übergriffe, schwere und weniger schwere Verbrechen. Jeden berichteten Einzelfall zu kommentieren oder für dessen mediale Präsenz zu sorgen, ist nicht die Aufgabe der Politiker. Ihre Aufgabe ist wohl, für die Schaffung von sozialen, wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen zu sorgen, die jeder Art von Verbrechen, auch in Form von Beschimpfungen, Beleidigungen, Gewaltdrohungen und Gewaltanwendung die materielle Grundlage entziehen.

Die von Ihnen zitierte Passage aus der Zeitung wird eindeutig als Schlägerei von Jugendlichen mit vielen Unbekannten beschrieben. Leider passieren solche Massenschlägereien nicht selten und in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen. Selbstverständlich ist jeder Fall ein Fall zu viel, dringend aufzuklären und die Täter strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Und natürlich habe ich so viel Vertrauen in den Rechtsstaat, die Täter nach Zeugenhinweisen und eigenen Ermittlungen festnehmen und bestrafen zu können.

Ihre Empörung und die Reaktion von vielen anderen Empörungsrhetorikern machen ja deutlich, dass Empörungen allein keine Probleme lösen. Hilfreich sind politische Konzepte, die dem Problem nur mit der Wahrung der Werte unserer Verfassung beikommen können. Meine Fraktion im Bundestag bringt sich genau in diesem Sinne in die politische Auseinandersetzung ein.

Straftaten und Kriminalität nur durch Herkunft, Religion und ethnische Zugehörigkeit der Täter erklären zu wollen, scheitert sehr schnell an der Wirklichkeit. Es geht nicht um deutsche oder ausländische Täter, so sehr Sie diese Einteilung favorisieren, sondern um Täter, die geahndet und bestraft gehören, unabhängig von Herkunft, Staatsangehörigkeit und Hautfarbe. Außerdem sind die im Zeitungsbeitrag als Türken oder Marokkaner beschriebenen Jugendlichen keine Ausländer, sondern zum großen Teil hier geborene Menschen. Das sind sehr wohl deutsche Jugendliche. Mag sein, dass Sie das anders sehen. Das ist eben Teil der Auseinandersetzung um die größte Lebenslüge der Bundesrepublik, kein Einwanderungsland zu sein.

Die ethnisch-religiöse Einteilung von Straftätern ist der Versuch, politisch motivierte Gewaltanwendung und Gewalttätigkeiten als Bagatelle zu verkaufen oder gänzlich zu rehabilitieren. Politisch motivierte Hatz auf Fremde oder Angehörige einer bestimmten Gruppe und ideologisch indoktrinierte Schläger bekämpfe ich selbstverständlich politisch, mit den Mitteln, die mir auf dieser Ebene zur Verfügung stehen. Auch zum von Ihnen geschilderten Fall muss gesagt werden, dass politische Hintergründe in solchen Fällen nicht immer vorhanden sind. Mir ist aber klar, dass solche Straftaten in der Regel Anlass zu politischen Protesten geben, wenn politische Zusammenhänge deutlich werden.

Mit eigenem Urteilsvermögen lasse ich mich hierbei von unserem Grundgesetz und den programmatischen Forderungen meiner Partei leiten. Die grüne Bundestagsfraktion hat ein klares politisches Programm und Profil, sie braucht sich nicht die Erwartungen der anderen zu Eigen zu machen. Wunschkonzerte auf der politischen Bühne versprechen kaum Erfolgserlebnisse.

Mit freundlichen Grüßen

Claudia Roth

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