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Claudia Roth
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Stefan K. •

Frage an Claudia Roth von Stefan K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Roth,

die Grünen rühmen sich, eine schwulen- und lesbenfreundliche Partei zu sein (gehen Sie da mit mir einig?).
Und tatsächlich haben sie während der Regierungsbeteiligung die Anerkennuung eingetragener Lebenspartnerschaften ein gutes Stück vorangebracht, was anzuerkennen ist.
Andererseits wehren Sie sich stets dagegen, wenn Menschen, die in unser Land einwandern, Verpflichtungen zur Einhaltung der Regeln auferlegt werden. Und sobald der Schwulenfeind nicht im Maximilianeum in München, sitzt, sondern es sich um einen Kulturbereicherer mit Migrationshintergrund handelt, hört Ihr Engagement für Homosexuelle anscheinend auf.
Insbesondere Jugendliche aus dem arabischen- islamischen Raum machen in Berlin, Hamburg und anderen Großstädten Schwulen das Leben zur Hölle- mit rassistischen Beschimpfungen, Bedrohungen, Köroperverletzungen. Es wird Schwulen vorgeworfen, mit ihrem Verhalten den Islam zu beleidigen.
Haben Sie nicht erkannt, dass es sich hierbei um Rassismus handelt? Wo bleibt Ihr Protest gegen diese Form des Rassismus? Oder sehen Sie etwa einen unterschied im Verhalten dieser Jugendlichen zu deutschen Neonazis? Ist Ihre Partei nach alledem überhaupt schwulenfreundlich oder sind Homosexuelle nur noch im Wahlkampf interessant?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Koslowski,

wir Grünen sind die Partei in der Bundesrepublik Deutschland, die sich politisch und programmatisch für eine umfassende Gleichstellung von unterschiedlichen Lebensformen und Lebensentwürfen stark gemacht hat und es weiterhin tut. Dazu gehört unser langjähriges und anhaltendes Engagement für die Gleichstellung von Schwulen und Lesben. Bis vor kurzem waren wir wie einsame Rufer in der Wüste. Mittlerweile hat sich die Lage von Schwulen und Lesben zwar verbessert, doch gibt es noch eine Menge in diesem Bereich zu tun. Das Lebenspartnerschaftsgesetz zum Beispiel musste gegen große Widerstände im Bundestag und Bundesrat durchgesetzt werden. Gegen eine vollständige Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben gibt es weiterhin Widerstände, einige unionsregierte Länder versuchen jeden Schritt nach vorne gemeinsam mit rechtskonservativen Kreisen zu verhindern.

Dass unsere Lesben- und Schwulenpolitik durch unsere Migrationspolitik in Frage gestellt würde, sehe ich nicht. In beiden Bereichen geht es um Gleichberechtigung und Beseitigung von Diskriminierungen. Ich halte nichts davon, die Rechte einer gesellschaftlichen Gruppe gegen die einer anderen auszuspielen. Menschenrechte sind unteilbar. Sie gelten für alle ohne Ausnahmen. Gleiche Rechte und deren wechselseitige Anerkennung sind die Grundlagen für das Zusammenleben in Vielfalt. Weder Rassismus noch Lesben- und Schwulenfeindlichkeit sind daher hinnehmbar. Trotzdem halte ich die begriffliche Trennung für richtig, die mehr Klarheit in der Problembeschreibung und Problemlösung zur Folge hat. Rassismus und Homosexuellenfeindlichkeit haben eine verabscheuungswürdige Gemeinsamkeit, denn beide widersprechen Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.

Ihre Annahme, wir würden von Eingewanderten nicht erwarten, dass sie sich an die Regeln halten, trifft nicht zu. Selbstverständlich sind wir der Auffassung, dass die Gesetze der Bundesrepublik für alle gelten, die hier leben. Gewaltstraftaten müssen geahndet werden, egal von wem sie ausgehen. Dafür brauchen wir keine ausländerrechtlichen Sonderregelungen für Eingewanderte, sondern schlicht die Anwendung der für alle verbindlichen Gesetze.

Gerade in einer multikulturellen Gesellschaft darf es keine Ausnahmen von den Grundregeln unserer Verfassung geben. Damit alle ihre Rechte wahrnehmen können, müssen auch die Rechte anderer respektiert werden. Niemand ist gezwungen, Schwule oder Muslime zu lieben, aber wer ihnen gleiche Würde und Rechte abspricht, muss mit unserem entschiedenen Widerspruch rechnen. Wir setzen uns für die Akzeptanz von Verschiedenheit ein, auch wenn das von Manchen als Zumutung empfunden wird: Der strenggläubige Moslem muss ertragen, dass sich ein schwules Paar öffentlich küsst, und die CSU schwullesbische Hochzeiten in den bayerischen Standesämtern.

Bedrohungen und Körperverletzungen gehören ganz sicher nicht zu dem, was hinzunehmen ist. Gewalt ist die schlimmste Form der Ausgrenzung und Diskriminierung. „No-Go-Areas“ darf es nicht geben – weder für Dunkelhäutige, noch für Schwule und Lesben. Wir fordern seit vielen Jahren, dass Gewalt gegen Homosexuelle entschiedener bekämpft wird, zum Beispiel durch die Optimierung von Polizeiarbeit und Strafverfolgung, durch verbesserte Opferhilfe, durch Programme zur Verhinderung von Gewalt. In einer Reihe von Bundesländern und Kommunen gibt es sehr gute Ansätze hierzu. Aber andere weigern sich leider noch immer, spezifische Maßnahmen gegen anti-homosexuelle Gewalt zu ergreifen.

Ihre Äußerung, „Jugendliche aus dem arabischen-islamischen Raum“ machten Schwulen und Lesben in Städten wie Berlin und Hamburg das Leben „zur Hölle“, kann ich so nicht teilen. Ich gebe zu bedenken, dass viele Lesben und Schwule ja gerade in die Großstädte ziehen, um ihrer als schlechter empfundenen Situation in ländlichen Regionen zu entfliehen. In den Metropolen leben sie häufig in Stadtteilen, die ebenfalls einen hohen Anteil von Migranten aus islamisch geprägten Ländern haben. Sicherlich gibt es Konflikte und auch völlig inakzeptable schwulenfeindliche Gewalt von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Aber sind diese Probleme nicht ausgerechnet in den Regionen umso größer, in denen man kaum einem Migranten mit islamischem Hintergrund begegnet? Damit soll nichts entschuldigt oder relativiert werden, aber ich warne vor dem voreiligen Schluss, Homophobie sei ein exklusiv islamisches Problem. Das wäre nicht nur geschichtsvergessen und widerspräche den Statistiken über antischwule Gewalt, sondern verstellte uns auch den Blick für sinnvolle Problemlösungen.

Für die Prävention antihomosexueller Gewalt ist sicher richtig, den jeweiligen Hintergrund der „Schwulenklatscher“ in den Blick zu nehmen. Das bedeutet eine Auseinandersetzung mit religiös verbrämten Rechtfertigungen wie mit patriarchalen und gewaltgeprägten Strukturen. Wir müssen Hasspredigern entgegentreten, die Lesben und Schwule verteufeln und damit Gewaltbereitschaft schüren. Das gilt für Imame und Ajatollahs, die zu Gewalt und Mord an Homosexellen aufrufen, aber auch für die Hetztiraden manch christlicher Fundamentalisten. Ein glattes Eigentor wäre es jedoch, deren Behauptung, ihre Religion sei per se unvereinbar mit der Anerkennung von Homosexuellen, einfach mit anderem Vorzeichen zu wiederholen. Die Auseinandersetzung gelingt am besten mit und nicht gegen die entsprechenden Communities. Die Einbindung von Migrantenvereinigungen mag anstrengender sein als eine allgemeine Negierung der multikulturellen Realität, ist aber letztlich der richtige und erfolgversprechende Weg.

Akzeptanz für selbstbestimmte Lebensweisen von Frauen, Respekt gegenüber Lesben und Schwulen – das sind auch wichtige Themen für die Integrationspolitik. Mit dem rot-grünen Zuwanderungsgesetz sind erstmals Instrumente einer systematischen, aktiven Integrationsförderung geschaffen worden. Ich halte es für sinnvoll, z.B. im Rahmen der Integrationskurse Müttern und Vätern spezielle Angebote zu machen, die gewaltpräventive Erziehungsmethoden ebenso vermitteln wie die Toleranz gegenüber anderen Lebensweisen.

Zudem bleibt natürlich in den Bereichen Jugendarbeit und Bildung viel zu tun. Gerade in der Schule ist Aufklärung zu leisten, Hass entgegenzuwirken. Schule ist der Ort, wo Regeln erlernt werden können für das demokratische Zusammenleben in unserer vielfältigen Gesellschaft. Dazu gehört, dass gleichgeschlechtliche Lebensweisen in Schulbüchern und Lehrplänen vorkommen und selbstverständlich als gleichwertig vermittelt werden. Entsprechende grüne Forderungen scheiterten in den Bundesländern bisher nie an Migranten, sondern an konservativen deutschen Bürokraten in den Bildungsministerien.

Mit freundlichen Grüßen

Claudia Roth

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