Frage an Claudia Roth von Michael K. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Guten Tag Frau Roth,
ich wollte einmal anfragen, warum die so genannte "Friedenspartei" Kriegseinsätze im Ausland billigt, bzw. während der Regierungszeit mit beschloßen hat. Wie können sie die unschuldig tot gebombten Zivilisten von Belgrad und im Kosovo mit ihren Grundsätzen vereinbaren? Warum unterstützt die "Friedenspartei" den Tornado-Einsatz?
Sehr geehrter Herr Knoke,
an Ihrer Fragestellung sieht man, dass eine breite friedens- und sicherheitspolitische Debatte in Deutschland fehlt. Wir sind die Partei, die sich Friedenspolitik nicht einfach auf die Fahnen geschrieben hat, sondern sich um eine inhaltliche und realistische Friedenspolitik bemüht. Diesem Thema haben die Grünen einen ganzen Bundesparteitag gewidmet, um klare Kriterien für eine tatkräftige Friedenspolitik und für eventuelle Auslandseinsätze der Bundeswehr zu erarbeiten und so Lehren und Konsequenzen aus den Fehlern im Kosovo und den fehlenden Positionierungen während der Balkan-Krise zu ziehen. Militärische und gewalttätige Auseinandersetzungen wie wir sie aus Afghanistan, Sudan, Kongo oder dem Balkan kennen, lassen sich nicht mit einfachen Friedensappellen beilegen. Bei manchen Parteien haben die Debatten zu diesem großen Themenkomplex ganze 15 Minuten gedauert. Dann waren alle Fragen schnell und nach dem Schwarz-Weiß-Prinzip klar beantwortet.
Natürlich kann man sich die Welt auch auf diese Weise einfach machen.
Friedens- und sicherheitspolitische Themen haben heutzutage höchstens kurzfristig Konjunktur, meist wenn es um einen Einsatz der Bundeswehr im Ausland wie in Afghanistan, Kongo oder im Libanon geht. Wir brauchen aber eine klare Definition unserer Handlungsmaxime und Prioritäten. Für uns Grünen steht außer Frage, dass die Charta der Vereinten Nationen, das Völkerrecht und die Vereinten Nationen unserer zentraler außenpolitischer Bezugs- und Handlungsrahmen sind.
Wir haben viele Fragen in diesem Zusammenhang zu beantworten, darunter Fragen wie: Was sind die Prinzipien, Interessen und Ziele deutscher Friedens- und Sicherheitspolitik und welche zivilen, militärischen und polizeilichen Fähigkeiten sollen hierfür bereitgehalten werden?
Militäreinsätze könnten allenfalls Zeit für politische Lösungen gewinnen lassen. Sie schaffen keinen Frieden, sondern ermöglichen und unterstützen im besten Fall Friedensprozesse. Deshalb müssten die Diskrepanzen und Defizite im Bereich der zivilen Fähigkeiten dringend abgebaut und durch einen ressortübergreifenden Ansatz überwunden werden. Wir brauchen ausgewogene diplomatische, zivile, polizeiliche und militärische Fähigkeiten und klare Regeln und Grenzen für Bundeswehreinsätze. Stabilisierungseinsätze der Bundeswehr müssten immer multidimensional angelegt und multilateral eingebunden sein.
Wir wissen, dass militärisches Eingreifen alleine für innerstaatliche Konflikte keine geeignete Lösung bietet. Dies hat sich allerdings bisher nicht in gestiegenen Budgets und einer besseren Ausstattung für zivile Einsätze niedergeschlagen. Die Erfahrungen von Friedensmissionen zeigen, dass eine zivil-militärische Entgegensetzung längst überholt ist. Bei Friedensmissionen wie in Afghanistan oder im Kosovo geht es um ein komplementäres Vorgehen und die Konsistenz aller Elemente. Was wir brauchen ist eine Balance zwischen zivilen und militärischen Fähigkeiten. Hierfür müssten nicht nur die zivilen Fähigkeiten für Friedensmissionen gestärkt, sondern diese auch auf die jeweiligen Realitäten hin bezogen werden.
Die deutliche Diskrepanz zwischen militärischen und zivilen Fähigkeiten muss aufgehoben werden. Dies ist nicht lediglich ein kosmetisches Problem, sondern führt zu einer "Entgrenzung" militärischer Aufgaben. Wenn wir es Ernst meinen mit unserem Selbstverständnis als Friedensmacht, dann müssen wir auch mehr als bisher in eine präventive Politik investieren.
Deshalb plädieren wir für einen Strategiewechsel und für eine politisch-zivile Offensive in Afghanistan. Die Frage der Tornado-Einsätze bewerten die Mitglieder der grünen Spitzengremien unterschiedlich. Rund die Hälfte der grünen Abgeordneten im Bundestag hat den Antrag der Bundesregierung abgelehnt.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 03.07.2007 ist eine deutliche Niederlage für diejenigen, die den ISAF-Einsatz immer wieder als "völkerrechtswidrigen Angriffskrieg" denunziert und die Realität in Afghanistan völlig verzerrt dargestellt haben. Dieser Bewertung haben die Verfassungsrichter eine klare Absage erteilt. Die selbsternannten Friedenspolitiker können nicht länger den politischen Schlüsselfragen darüber ausweichen, welche Pflichten Deutschland im Rahmen der Vereinten Nationen zur kollektiven Friedenssicherung hat und wie Deutschland konkret zur Gewalteindämmung in Afghanistan beitragen soll.
Mit freundlichen Grüßen
Claudia Roth