Frage an Claudia Roth von Ralf S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Roth,
Einem Bericht von Amnesty International zufolge wurden im Iran seit 1990 mehr minderjährige Straftäter als sonstwo auf der Welt hingerichtet.
http://web.amnesty.org/pages/irn-220607-editorial-eng
Derzeit sollen es 71 Minderjährige sein, die in iranischen Gefängnissen einsitzen und auf die Vollstreckung der Todesstrafe warten.
Da genau nachweisbare Informationen aus dem Iran jedoch nur schwer erhältlich sind, kann die Dunkelziffer noch beträchtlich höher sein.
Jungen sind im Iran bereits im Alter von 15 Jahren volljährig; bei Mädchen ist dies bereits mit 9(!) der Fall.
Davon abgesehen gehören im Iran Steinigungen aufgrund religiöser Verfehlungen zum Alltag.
Ich darf Sie nun fragen, warum Sie bzw. Ihre Partei so wenig für die Rechte dieser Kinder eintreten. Würden z.B. die USA aus dem Irak Minderjährige entführen und sie in Guantanamo inhaftieren, könnte ich mir Ihre Reaktion und die Ihrer Kollegen lebhaft vorstellen. Was jedoch die zum Tode verurteilten Minderjährigen im Iran angeht, scheinen diese keinerlei Fürsprecher unter westlichen Politikern zu haben. Niemand unter Ihnen, der die Verbrechen des iranischen Regimes offen anspricht und in dieser Hinsicht Aufklärung verlangt. Und so sitzen diese Kinder (wahrscheinlich oftmals nur, weil sie gegen irgendwelche religiösen Sittengesetze verstoßen haben - man weiß es ja nicht) immer noch in irgendwelchen dunklen Löchern, von aller Welt verlassen und warten auf den Tag, an dem sie erhängt oder gesteinigt werden.
Sehr geehrte Frau Roth; ich stieß durch reinen Zufall auf den Bericht von A.I.. Menschenrechtsverletzungen der USA in Irak oder in Afganisthan werden (zu Recht) von Politikern und Medien wirksam aufbereitet; aber über die Verbrechen, die viele andere (totalitäre) Regime begehen, scheint man getrost hinwegzusehen.
Wie kommt dies?
Sehr geehrter Herr Sattler,
der Bericht von Amnesty International gibt die desolate Lage der Menschenrechte im Iran wieder. Nicht nur der aktuelle Bericht, sondern auch die vorherigen Berichte und Informationen aus dem Iran geben leider keinen Anlass, bezüglich der Menschenrechte im Iran optimistisch zu sein. Die Politik der iranischen Staatsführung kritisieren wir nicht nur wegen einer Außenpolitik, die die krisengeschüttelte Region weiter destabilisiert, sondern vor allem aufgrund der Verletzungen im Bereich von Frauenrechten, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte. Diese Kritik haben wir immer, wie ich meine, glaubwürdig, konsequent und klar geäußert.
Das Ziel hierbei ist immer, die iranische Zivilgesellschaft zu stärken und den Iranern dazu zu verhelfen, ihre Rechte durchzusetzen. Der internationalen Politik stehen für eine Zivilisierung der iranischen Politik nur Instrumente im Rahmen der UNO und des Völkerrechts zur Verfügung. Eine Säbelrasseln-Polemik oder gar die Androhung von militärischen Interventionen zur Lösung des Problems haben bisher die Lage in den ähnlich gelagerten Ländern eher verschlechtert.
Ihre Schlussfolgerung, man sehe über die Verbrechen in den totalitären Regimes hinweg und kritisiere nur die Menschenrechtsverletzungen der USA im Irak und Afghanistan, basiert auf einem falschen Vergleich. Wir haben mit den USA die größte gemeinsame Wertebasis: Unsere Demokratien haben die gleiche Aufklärungstradition, die gleiche strukturelle Gewaltenteilung und die gleiche Gewichtung des Souveräns. Wir sind gemeinsam stolz auf die humanistischen Wurzeln unserer Wertesysteme, auf die gemeinsamen Koordinaten unserer politischen Strukturen und auf den Rechtsstaat. Wir haben gemeinsam mit den USA die meisten internationalen Abkommen im Bereich der Menschenrechte und im Bereich von bürgerlichen und politischen Rechten auf den Weg gebracht und international etabliert. Diese gemeinsame Wertebasis zu respektieren und sich für die Umsetzung dieser Rechte einzusetzen, macht unsere Glaubwürdigkeit aus. Nur so können wir die Menschen weltweit und somit die anderen Staaten von der Richtigkeit unseres gemeinsamen Weges überzeugen. Deshalb ist die Kritik an den von den USA begangenen Menschenrechtsverletzungen nicht vergleichbar mit der Kritik an den Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen, die durch Diktatoren und Willkürsysteme begangen werden. Denn Menschenrechtsverletzungen dürfen nicht gegeneinander aufgerechnet werden, genauso darf es keinen Rabatt bei der Kritik an Menschenrechtsverletzungen aufgrund irgendwelcher Gemeinsamkeiten geben, sonst würde man sich unglaubwürdig machen.
Dass Sie den Eindruck haben, die USA würden mehr kritisiert als die „Willkürstaaten“, liegt wohl an der freien Presse und den erweiterten Kommunikationsmöglichkeiten in unseren Demokratien und auch an der Bedeutung der USA als demokratisches Vorbild für viele Menschen. Die Werte der amerikanischen Demokratie dürfen nicht auf dem Altar einer konzeptlosen Außenpolitik zerredet werden. Es gibt sehr viele Bereiche, in denen wir gemeinsam mit den USA am gleichen Strang ziehen, aber es gibt leider auch Bereiche, in denen die USA Koalitionen mit Staaten wie China, Iran, Saudi Arabien und Sudan eingehen. Als wahre Freunde der USA und der amerikanischen Demokratie müssen wir die Möglichkeiten unserer Diplomatie nutzen, um zum Beispiel die weltweite Abschaffung der Todesstrafe, die strikte Einhaltung des Folterverbotes und die Gleichstellung von Homosexuellen auch von den USA zu fordern, ohne Rücksicht auf die jeweilige Administration.
Mit freundlichen Grüßen
Claudia Roth