Frage an Claudia Roth von Ali B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Roth,
unter http://parteigruendung.myblog.de/parteigruendung/art/172330232#CID_284705356 las ich heute ein interessantes Zitat aus der FAZ. Mich würde interessieren, welche Möglichkeiten Sie sehen, die darin angesprochenen, m.E. sinnvollen Maßnahmen (über die neuesten Bleiberechtsregelungen hinaus, die ohnehin nur Geduldete betreffen) auch bei uns umzusetzen.
Ich zitiere:
""... Das neue Einwanderungsgesetz sieht vor, einwanderungswillige Familienmitglieder zu verpflichten, sich in ihrer Heimat ausreichende Kenntnisse der französischen Sprache und der "Werte der Republik" bescheinigen zu lassen. Andernfalls könne der Familiennachzug nach Frankreich abgelehnt werden. ... So soll das in Frankreich lebende Familienmitglied künftig nachweisen müssen, dass sein Einkommen ausreicht, die nachziehenden Familienmitglieder zu unterhalten. ... Damit soll künftig verhindert werden, dass sich ein Großteil des Familieneinkommens aus staatlichen Leistungen wie Kindergeldzahlungen zusammensetzt. ...
Der neue "Aufnahme- und Integrationsvertrag für die Familie" verpflichtet Eltern, sich über ihre "Rechte und Pflichten als Eltern" zu informieren. Sie müssen sicherstellen, dass sie ihren Kindern eine "gute Eingliederung" in die französische Gesellschaft gewährleisten, unter anderem über die Förderung des französischen Sprachgebrauchs, aber auch die Akzeptanz der Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen. Bei Nichtbeachtung dieser Pflichten können die Leistungen suspendiert werden ..."
Mit freundlichen Grüßen
Ali Bektas-Kampmann
Sehr geehrter Herr Bektas-Kampmann,
trotz einiger äußerlicher Ähnlichkeiten bei Integrationsdefiziten in den Ländern der Europäischen Union haben wir in Deutschland eine andere Ausgangslage als in Frankreich. Der von Ihnen zitierte Bericht wird zwar einige Kreise und manche Stammtische zufrieden stellen, zur Lösung von wirklichen Problemen wird die angekündigte Politik aber kaum beitragen können. Der auch in Frankreich im Verfassungsrang garantierte Schutz der Familie sollte der Ausgangspunkt jedes integrationspolitischen Handels sein. Die Einführung von Familien erster und Familien zweiter Klasse wäre eine Verletzung der Menschenwürde und die Aushöhlung der demokratischen Rechtsstaatlichkeit. Eine derartige Aushöhlung würde nur Feinde der Demokratie freuen und ihnen in die Hände spielen.
Wir sind die Partei, die sich nie vor Problemen gescheut hat. Wir haben Integrationskonzepte in einer Zeit erarbeitet und vorgestellt, in der die große Mehrheit der politischen Klasse die Realitäten des Einwanderungslands Deutschland und die Notwendigkeit der damit verbundenen Integrationsbemühungen gebetsmühlenartig negiert hat. Wir haben immer offen, öffentlich und streitbar für unsere Integrationskonzepte geworben, die wir im Laufe der Zeit weiterentwickelt und präzisiert haben. Vor kurzem haben wir unseren neuesten Antrag "Für ein integrationsförderndes, menschenrechtskonformes und humanitär ausgewogenes Zuwanderungsgesetz" in den Bundestag eingebracht, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wird, eine Überarbeitung ihres Vorhabens vorzulegen, die den integrationspolitischen und menschenrechtlichen Notwendigkeiten entspricht. Wesentliche Forderungen des grünen Antrags sind: Das Recht auf familiäres Zusammenleben in Deutschland darf nicht davon abhängig gemacht werden, aus welchem Land der Partner oder die Partnerin kommt, ob dort Deutschkurse verfügbar sind oder wie hoch das Einkommen ist. Die von der Bundesregierung beschlossene Beschränkung des Familiennachzuges ist deshalb falsch und verfassungsrechtlich problematisch. Wir wollen die Familie schützen, wie es dem Staat im Grundgesetz aufgegeben ist.
Opfer von Zwangsverheiratung brauchen keine Krokodilstränen, sondern Rechte. Alle Sachverständigen sind sich einig, dass die Betroffenen am wirksamsten durch einen sicheren Aufenthaltsstatus geschützt werden können. Wir fordern, den Betroffenen endlich ein vom Ehepartner unabhängiges Aufenthaltsrecht zu garantieren. Zudem muss sichergestellt werden, dass zur Verheiratung ins Ausland Verschleppte nicht ihr Aufenthaltsrecht verlieren.
Das System der Integrationskurse ist unseres Erachtens noch auszubauen. Es darf nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass Deutschkenntnisse bereits vor der Einreise verlangt werden. Um die Teilnahmemöglichkeit zu verbessern, muss die Bundesregierung die Kinderbetreuung gewährleisten statt die Bußgeldpeitsche zu schwingen.
Wer hier lange lebt, hier aufgewachsen oder sogar geboren ist, darf nicht einfach in ein für ihn fremdes Land abgeschoben werden. Ansprüche auf Ausweisungsschutz und Aufenthaltsverfestigung dürfen nicht in Frage gestellt werden.
Der Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit muss erleichtert statt erschwert werden. Zusätzliche Hürden und die von der Bundesregierung vorgesehene Verschärfung der Einbürgerungsbedingungen für Jugendliche sind angesichts sinkender Einbürgerungszahlen integrationspolitisch verantwortungslos.
Statt Deutschland weiter abzuschotten, sind die legalen Einwanderungsmöglichkeiten zu verbessern. In bestimmten Bereichen fehlen schon jetzt dringend benötigte Fachkräfte. Darum hat die grüne Bundestagsfraktion zusätzlich einen Antrag "Zuzug von Hochqualifizierten erleichtern" vorgelegt, der u. a. einen Einstieg in ein Punktesystem vorsieht. Wir werden weiterhin dafür werben, dass wir ein zukunftsweisendes Zuwanderungsgesetz brauchen.
Mit freundlichen Grüßen
Claudia Roth