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Claudia Roth
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Frage von Jens M. •

Frage an Claudia Roth von Jens M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Roth,

vor einigen Tagen wurde in der U-8 in Berlin ein Afrikaner ins Koma geprügelt, gestern wurde in Tegel ein Pakistani erstochen; beide Verbrechen geschahen offenbar aus nichtigem Anlass. Nun nehme ich verwundert zur Kenntnis, dass weder Sie noch Ihre Kollegen von den Grünen (zB. Herr Kuhn, Herr Ströbele) laut und vernehmlich ihre Empörung über diese neuen Fälle von Gewalt gegen Migranten äußern; auch habe ich bislang noch keine Auffrufe zu Lichterketten u.ä. vernommen.

Ich wüßte gern, warum das Schicksal dieser Gewaltopfer offenbar weniger "bedeutsam" sein soll als etwa das des Herrn Emyras M., der vor einem Jahr in Potsdam ebenfalls nach einem gezielten Faustschlag ins Koma fiel.

Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen.

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Müller,

um Ihre Fragen beantworten zu können, fange ich mit Fakten an: Die Zahl rechtsextremer Gewalttaten ist nach einem Zeitungsbericht (Der Tagesspiegel vom 07.06.2007) in den ersten vier Monaten dieses Jahres deutlich gestiegen. Die Landeskriminalämter verzeichneten bis einschließlich April 214 Gewalttaten mit rechtsextremem Hintergrund, 34 mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum. Die Zahl der Verletzten rechter Gewalttaten stieg demnach um 65 auf 205. Auch die Zahl allgemeiner rechtsextremer Straftaten stieg in den ersten vier Monaten des Jahres um 33 auf 3522 gegenüber demselben Zeitraum 2006. Dennoch sank die Zahl der Haftbefehle gegen mutmaßliche rechtsextreme Täter von zehn im Vorjahr auf vier in diesem Jahr. Die Polizei nahm bislang 278 Personen vorläufig fest, zwischen Januar und April 2006 waren es 230. Im gesamten Jahresverlauf 2006 wurden 1047 rechtsextremistische Gewalttaten registriert.

Es ist wichtig, dass die deutsche Gesellschaft rassistischen Übergriffen entschlossen und couragiert entgegentritt. Das schließt die deutsche Politik genauso ein, wie einzelne Bürger wie Sie. Es vergeht kaum eine Woche in diesem Land, in der nicht irgendwo ein Mensch nur seiner Hautfarbe wegen angegriffen und verletzt wird. Diese Realität braucht keine Übertreibung. Sie braucht eine Polizei, die verfolgt, eine Staatsanwaltschaft, die unbeirrt ermittelt, und eine Justiz, die sorgfältig urteilt. Geschähe das als etwas Selbstverständliches, bräuchte sich die Politik zu allen Einzelfällen wie dem Fall des dunkelhäutigen Deutschen Ermyas M nicht zu äußern. Denn der Fall wurde politisch missbraucht als die Bundesanwaltschaft ihn übernahm und wegen Mordverdacht mit rechtsextremem Hintergrund ermittelte. Brandenburgs Innenminister Schönbohm protestierte, weil er sein Bundesland verunglimpft sah, es gab dann viel Hin- und Her.

Klar ist, dass die Politik der Justiz nicht vorschreiben kann, wie sie vorgehen und agieren soll. Es ist aber die Aufgabe der Politik, auf Unregelmäßigkeiten, auf Ungereimtheiten und Erschwernisse bei Ermittlungen und Strafverfolgung hinzuweisen.

Es ist legitim, diejenigen Sicherheitspolitiker aufgrund ihres eigenartigen Umgangs mit rechtsextremen Gewalttaten zu kritisieren, die sonst stets "null Toleranz" fordern, aber bei Ermittlungen im Umfeld von Fremdenhass und Rassismus davon abrücken.

Angesichts der erschreckend hohen Zahlen von Gewalttaten ist es wichtig, dass wir unsere Strafverfolgungsbehörden darin bestärken, entschlossen und ohne Rücksicht auf Rang und Namen der Personen zu ermitteln und so den im Grundgesetz verbrieften Rechten der Bürgerinnen und Bürger zur Durchsetzung zu verhelfen. Dass manche Fälle aus politischen oder inhaltlichen Gründen mehr Aufmerksamkeit oder Brisanz in der öffentlichen Debatte erfahren, sollte in einer lebendigen Demokratie selbstverständlich sein.

Das Schicksal von allen Gewaltopfern ist in unserem Rechtsstaat gleich bedeutsam. Die Politik kann aber nicht jeden Fall von Gewalttaten kommentieren und so den Strafverfolgungsbehörden allenthalben sekundieren. Lichterketten werden selten von Politik und eher von Menschen organisiert, die ein Zeichen setzen wollen. Als engagiertem Bürger stehen Ihnen diese Möglichkeiten genauso zur Verfügung wie allen anderen.

Mit freundlichen Grüßen
Claudia Roth

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