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Claudia Roth
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Frage von Daniel von H. •

Frage an Claudia Roth von Daniel von H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Roth,

von März 2003 bis Oktober 2004 waren Sie die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe. In dieser Position waren Sie Ansrechpartnerin für Menschenrechte.

Während Ihrer Amtszeit war in dem US-Gefangenenlager Guantanamo Bay auf Kuba der in Deutschland geborene Murat Kurnaz inhaftiert. Ich bin mir sicher, dass Sie mit mir darüber übereinstimmen, dass weder die Inhaftierung noch die Verfahren des Lagers nicht unseren rechtstaatlichen Prinzipien entsprechen.

Sie und Ihre Partei setzen sich nachdrücklich für die Schließung des Gefangenenlagers ein und fordern die Freilassung oder wenigstens Überstellung der Inhaftierten vor ordentliche Gerichte.

Meine Frage an Sie ist daher:
Warum haben Sie sich in Ihrer Zeit als Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung nicht nachhaltiger für die Rechte von Murat Kurnaz eingesetzt? Auch wenn von ihm zum damaligen Zeitpunkt, nach Ansicht der Bundesregierung und der Geheimdienste eine terroristische Gefahr ausging, hätte er dann nicht vor ein ordentliches Gericht gestellt werden müssen?
Auch wenn Murat Kurnaz zum damaligen Zeitpunkt keinen Pass besaß, so ist er doch in Deutschland geboren und aufgewachsen und meiner Ansicht nach gelten Menschenrechte unabhängig vom Pass, den man bei sich trägt. Was haben Sie also damals dafür getan, damit Herrn Kurnaz Gerechtigkeit widerfährt?

Mit freundlichen Grüßen
Daniel von Hake

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Sehr geehrter Herr von Hake,

haben Sie vielen Dank für Ihr Interesse am Thema Menschenrechte und der Aufklärung von Rechtsverstößen und Ungerechtigkeiten, die Murat Kurnaz widerfahren sind.

Das Schicksal von Murat Kurnaz ist zurzeit Thema in zwei Untersuchungsausschüssen des Deutschen Bundestages. Die Untersuchungen dort sind noch nicht abgeschlossen. Erst wenn dies geschehen ist, kann es eine abschließende Bewertung geben und seriös über Konsequenzen entschieden werden.
Vor dem Untersuchungsausschuss hat er den erschütterten Abgeordneten von seinem Martyrium, den Folterungen und Erniedrigungen in Kandahar und Guantánamo berichtet. Die Ausschussmitglieder hatten keinerlei Zweifel an der Glaubwürdigkeit seiner Schilderungen.

Selbstverständlich hat der deutsche Staat die Aufgabe, alle in Deutschland lebenden Menschen vor Bedrohungen und Straftaten zu schützen. Dieses muss jedoch unter strikter Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenwürde geschehen. Lager wie Guantánamo, Verschleppungen von Terrorverdächtigen in Geheimgefängnisse, Folter und Rechtlosigkeit der Gefangenen sind Rechtsbrüche und dürfen nicht eingesetzt oder geduldet werden; solchen Praktiken muss vielmehr entschieden entgegengetreten werden.

Unsere Politik orientiert sich an der Unteilbarkeit von Menschenrechten und fordert diese beharrlich ein. Die Menschenrechte müssen allen zuteil werden, unabhängig von Herkunft, Sympathie und religiösen Überzeugungen.

Der Auftrag des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages ist es, aufzuklären, ob deutsche Dienststellen und die Bundesregierung im Fall Kurnaz Fehler gemacht haben und wer ggf. die Verantwortung dafür trägt.

Die Einrichtung des Amtes der/s Beauftragten für Menschenrechtspolitik im Auswärtigen Amt 1998 war eine richtige und wichtige Entscheidung mit großer Signalwirkung. Wichtig für die Gesamteinschätzung ist auch die Aufgabenbeschreibung der/des Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt. Die Aufgaben umfassen in der Amtsprache folgendes:

„Die Beauftragte vertritt die Bundesregierung in Fragen der Menschenrechte und Humanitären Hilfe nach außen. Zu ihren Aufgaben gehört es, die Entwicklung in diesen Bereichen weltweit zu verfolgen, den bilateralen und multilateralen Dialog mit Regierungen und Nichtregierungsorganisationen mitzugestalten und dem Bundesminister des Auswärtigen operative Vorschläge zur Ausgestaltung der Politik der Bundesregierung zu machen.

Die Tätigkeit der Beauftragten umfasst die gesamte Bandbreite der Menschenrechtspolitik der Bundesregierung im Bereich der Auswärtigen Beziehungen und orientiert sich an deren Schwerpunktsetzung. Ihr besonderes Augenmerk gilt daher einer verbesserten Umsetzung internationaler Standards, der Stärkung der europäischen Dimension der Menschenrechte sowie der Betonung der Menschenrechtspolitik als Querschnittsaufgabe.

Im Bereich der Humanitären Hilfe richtet sich der Dialog mit Regierungen sowie internationalen und deutschen Hilfsorganisationen auf das Ziel, den Betroffenen von Katastrophen schnell und effektiv zu helfen sowie zur Verbesserung der Katastrophenvorbeugung beizutragen.“

Ich habe mich in meiner Amtszeit für eine glaubwürdige und praxis-orientierte Menschenrechtspolitik eingesetzt, ohne Befugnisse einer Ombudsfrau zu haben. Das sieht das Amt und die Aufgabenbeschreibung auch nicht vor. Weder ich persönlich noch mein Büro im Auswärtigen Amt sind zum Fall Kurnaz in dieser Zeit konkret angesprochen worden. Trotzdem habe ich jede Gelegenheit und jedes internationale Forum benutzt, um das Gefangenenlager Guantanamo, Menschenrechte von Gefangenen im Krieg und bei der Terrorismusbekämpfung immer wieder zu thematisieren.

Die Ausstattung des Amtes ließ und lässt viel zu wünschen übrig. Deshalb habe ich mich des öfteren für die institutionelle Stärkung des Amtes und ebenso für die des Menschenrechtsausschusses im Bundestag ausgesprochen.

Hier eine kleine Übersicht über meine Reden und die Aktivitäten als Menschenrechtsbeauftragte:

- Einbringung der Resolution zum Menschenrechtsschutz bei der Terrorismusbekämpfung auf der Jahrestagung der Menschenrechtskommission der UNO in Genf, Frühjahr 2003

- Kritik am Gefangenenlager Guantanamo im Rahmen der 28. Konferenz des Internationalen Roten Kreuzes und Halbmonds, Dezember 2003

- Rede im Bundestag am 11.10.2003

- Einbringung einer neuen Resolution zum Menschenrechtsschutz bei der Terrorismusbekämpfung auf der Jahrestagung der Menschenrechtskommission der UNO in Genf, Frühjahr 2004

- Rede im Bundestag vom 25.03.2004

- und nicht zuletzt, Appelle und Aufforderungen an die USA und andere Länder, die UN-Menschenrechtskonvention nicht zu relativieren und ohne Wenn und Aber einzuhalten.

Ich hatte das Amt der Beauftragten für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt vom 24.03.2003-31.10.2004 inne. Die Anwälte von Murat Kurnaz haben sich zum ersten Mal an den Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung zu einem Zeitpunkt gewandt, in dem meinen Nachfolger Tom Koenigs im Amt war. Daraufhin hat er sich im Rahmen seiner Möglichkeiten für die Klärung des Schicksals von Murat Kurnaz eingesetzt.

Mit freundlichen Grüßen

Claudia Roth

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