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Frage von Hubert W. •

Frage an Claudia Roth von Hubert W. bezüglich Recht

In seinem Beitrag "Das Strafrecht ändern?: Plädoyer für eine realistische Neuorientierung der Sexualpolitik"
schreibt der Bundestagsabgeordnete Volker*Beck, Bündnis 90/Grüne in: Der pädosexuelle Komplex, Foerster, Berlin 1988 , Angelo *Leopardi (Hg.) :

"Als Etappenziel kann hier nur eine Versachlichung der Diskussion um das Problem der Pädosexualität vorgeschlagen werden. Als strafrechtliche Perspektive wäre hier z.B. eine Novellierung ins Auge zu fassen, die einerseits das jetzige "Schutzalter" von 14 Jahren zur Disposition stellt [...] oder auch eine Strafabsehensklausel. [...] Eine Strafabsehensklausel, wäre sie durchgesetzt, würde eine tatsächliche Auseinandersetzung vor Gericht, und, wenn die Bewegung stark genug ist, in der Öffentlichkeit um die Frage einer eventuellen Schädigung eines Kindes durch sexuelle Kontakte mit einem Erwachsenen ermöglichen. [...]
Wer für die Lebenssituation der pädophilen Menschen etwas erreichen will, muß diese Diskussion mit Aufklärung und Entmythologisierung vorbereiten [...]
Eine Entkriminalisierung der Pädosexualität ist angesichts des jetzigen Zustandes ihrer globalen Kriminalisierung dringend erforderlich [...] ´´ (Ende des Zitats)

Frau Roth, nach dem Herr Beck in Ihrer Partei nicht irgendwer ist sondern ihr rechtspolitischer Sprecher, frage ich Sie als Parteivorsitzende der Grünen:
Wie soll das in der Praxis funktionieren? Ein nach heutiger Definition ´Kinderschänder´ genannter erwartet sicher nicht, von einem zehn- oder dreijährigen angesprochen zu werden. Klingelt er also beispielsweise an der Tür seines Wohnungsnachbarn und erbittet sich dessen Kleinkind für eine Stunde zum ´gesellschaftlich fortschrittlichen Gebrauch´ ? Bitte äußern Sie sich über die praktische Umsetzung der von Ihrer Partei ins Auge gefassten Novellierung.
Hubert Woehl
Olching

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Woehl,

im Auftrag von Frau Claudia Roth möchte ich Ihnen hiermit antworten. Ich habe mich mit dem von Ihnen zugeschickten Zitat an das Büro des Abgeordneten Volker Beck gewandt. Volker Beck ist seit 1994 Bundestagsabgeordneter der Grünen. Seitdem hat er sich intensiv für eine Humanisierung und Modernisierung der deutschen Rechtspolitik eingesetzt. An den rechtspolitischen Initiativen der grünen Bundestagsfraktion, die stets mit Augenmaß und einer besonderen Gewichtung der Opferperspektive zustande gekommen sind und kommen, war und ist er maßgeblich beteiligt. Um auf Ihre eigentliche Frage zurück zu kommen, würde ich an dieser Stelle den Wortlaut der Antwort von Volker Beck weitergeben: „Die Sicht auf die Pädophilie war in den 70er und 80er Jahren in Deutschland von einem systematischen Irrtum in weiten Teilen der Sexualwissenschaft und auch Teilen der Kriminologie verstellt: Selbst Kriminologen des Bundeskriminalamts schlugen damals vor, zwischen gewaltlosen, angeblich "harmlosen" Sexualkontakten und gewaltförmigen, schädlichen Sexualkontakten zwischen Erwachsenen und Kindern zu unterscheiden.

Ich habe mich seit Ende der 80er Jahre intensiv mit der Arbeit von Organisationen auseinandergesetzt, die Opfer sexualisierter Gewalt und sexuellen Missbrauchs betreuen. Seitdem habe ich mit Liberalisierungsüberlegungen zum Sexualstrafrecht, die über die 1994 in Deutschland erfolgte Gleichstellung von Hetero- und Homosexualität (Streichung des § 175 StGB) hinausgehen, völlig gebrochen und bin Forderungen in diese Richtung immer entgegengetreten. Mein daraus resultierendes politisches Handeln gegen Kindesmissbrauch und Kinderpornographie: Das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Kinder wird durch sexuelle Übergriffe von Erwachsenen verletzt und kann zu bleibenden körperlichen wie psychischen Schäden führen. Deshalb ist der sexuelle Missbrauch von Kindern ist ein Verbrechen, das von mir und ebenso von Lesben- und Schwulenverbänden wie der International Lesbian and Gay Association (ILGA) auf das schärfste verurteilt wird. Dies ist keine Frage von Heterosexualität und Homosexualität: Der sexuelle Missbrauch bleibt ein Verbrechen, unabhängig davon ob er zwischen Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechtes geschieht. Den Tätern kommt es häufig gar nicht auf das Geschlecht ihrer Opfer an. Seit vielen Jahren setze ich mich politisch für die Bekämpfung des sexuellen Missbrauches von Kindern und Schutzbefohlenen ein. Seit meiner Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag bin ich daher wiederholt für die Verbesserung der Rechtssituation der Opfer sexuellen Missbrauchs und für eine Schließung von Strafbarkeitslücken initiativ geworden. Bereits in meiner ersten Wahlperiode im Bundestag ab 1994 habe ich einen Vorschlag für einen eigenständigen Verbrechenstatbestand für die schweren Formen des sexuellen Missbrauches von Kindern (§ 176 a StGB) ausgearbeitet, der von der damaligen Koalition entgegen ursprünglich anders lautender Vorstellungen auch im Sechsten Strafrechtsänderungsgesetz aufgegriffen wurde.

In meiner weiteren Arbeit im Bundestag habe ich mich zudem für eine Verjährungshemmung bei zivilrechtlichen Ansprüchen von Missbrauchsopfern eingesetzt und mit dafür gesorgt, dass Kinderpornographie und schwerer sexueller Missbrauch von Kindern in den Straftatenkatalog für die Telefonüberwachung aufgenommen wurde.“

Bei weiteren Fragen können Sie sich direkt an Volker Beck wenden. Dass seine Mitarbeit an den rechtspolitisch Initiativen der Fraktion hoch geschätzt wird, können Sie ja den soliden Ergebnissen der bisherigen Arbeit entnehmen.

Mit freundlichen Grüßen

Ali Mahdjoubi
Wissenschaftlicher Mitarbeiter

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