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Claudia Roth
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Frage von Angelika H. •

Frage an Claudia Roth von Angelika H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Roth,

Thilo Sarrazins Einladung zu einer Veranstaltung der Evangelischen Akademie Tutzing ist auf Ihre Kritik gestoßen. Zur geplanten Tagung „Gehört der Islam zu Deutschland?“, kündigten die Soziologin Paula-Irene Villa und Sie an, die Veranstaltung zu boykottieren, berichtet die taz am 8.3.2011. Mit Ihrem Aufruf, man müsse verhindern, daß die Thesen Sarrazins salonfähig würden, attackieren Sie den Veranstalter. Von Rassismus, Menschenfeindlichkeit und Populismus von Seiten Sarrazins ist die Rede. Dazu habe ich Fragen an Sie:
1. Würde diese Art von Demokratie, d.h. Boykottierung und Verwendung von Totschlagargumenten bei einer Wahl in die Regierung von den "Grünen" ausgehen?
2. Warum haben Sie nicht den gleichen Elan nach dem antidiplomatischen und nationastolzverherrlichenden Auftritt von Herrn Erdogan am 27.2.2011 in Düsseldorf vor ca. 11000 Türken gezeigt, wo doch Herr Erdogan seine Landsleute, incl. Türken mit deutschem Pass aufrief, sich nicht zu assimilieren, immer Türken zu bleiben, die Vorteile Deutschlands wie freie Bildung in Anspruch zu nehmen und "immer meine Staatsbürger" zu bleiben? Ging es da nicht um Rasse und Populismus?
3. Was tun Sie persönlich gegen Beschneidung von muslemischen Kindern?
4. Was tun Sie gegen das Schächten von Tieren durch Moslems in Deutschland?

Angelika Hörner

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Hörner,

es ist ein demokratisches Recht, zum Boykott von Veranstaltungen aufzurufen oder zu empfehlen, ihnen fernzubleiben, wenn man eine plausible Begründung und die Einschätzung hat, mit verfassungswidrigen Inhalten konfrontiert zu werden. Daran ändert sich auch nichts, wenn man in der Regierung ist.
Unsere seit Jahren bekannte Kritik am populistischen Politikstil von Ministerpräsident Erdogan und am Stillstand in den türkischen Reformbemühungen sind Ihnen offensichtlich nicht bekannt. Eine selektive Heranziehung von Erdogans Äußerungen und die konstruierte Verbindung mit Sarrazin sind Versuche, Sarrazins rassistische Thesen mit Hinweis auf andere Populisten zu verharmlosen und zu relativieren. Im Gegensatz zu Sarrazin hat Erdogan keinen unmittelbaren Bezug zu den politischen Debatten in Deutschland. Sarrazins Buch ist die moderne Version der Werbung für rassistische Thesen, die auf pseudowissenschaftlichen biologistischen Annahmen basieren. Sicherlich ist die Auseinandersetzung mit Sarrazins Thesen und der damit verbundenen Ressentimentindustrie für uns viel wichtiger als undiplomatische Fehltritte von Ministerpräsidenten eines anderen Landes, die an der geeigneten Stelle zu kritisieren sind.

Die Fragen nach Beschneidungen und Schächten sind in Europa und Deutschland ja keine wirklich neuen Fragen. Sie waren wichtige Teile im Werkzeugkasten des europäischen Antisemitismus und Chauvinismus in einem Klima von Ausgrenzung und Diskriminierung. Die Zielscheibe waren in der Vergangenheit meistens jüdische Bürgerinnen und Bürger. Im heutigen Europa sind es mehrheitlich die Menschen mit islamischem Glauben.

Beim Schächten vertreten wir die Position, dass die Tiere vor dem Schächten betäubt werden müssen. Es ist eine Debatte, die gemeinsam mit den betroffenen Religionsgemeinschaften und nicht gegen sie zu führen ist. Jeder Versuch, das Thema als Hebel zur Diskriminierung und Ausgrenzung einzusetzen, wäre demokratiefeindlich.

Beim Thema Beschneidungen ist die Diskussion eine ähnliche wie beim Schächten. Sie ist nur mit den und nicht gegen die betroffenen Religionsgemeinschaften zu führen. Die Beschneidung von Kindern ist ein irreversibler Eingriff und eine Körperverletzung, die in einem Spannungsfeld von Religionsfreiheit, kulturellen Riten, medizinischer Indizierung und elterlicher Sorge steht. Diese Frage kann nur im Kontext einer Weiterentwicklung der gegenwärtigen Rechtsprechung und eines Anpassungsprozesses an moderne Rechtsgüter und Rechtsbegriffe beantwortet werden. In juristischen Fachforen wird darüber bereits intensiv debattiert. Dabei geht es nicht zuletzt um die Rechtssicherheit der handelnden Personen wie der operierenden Ärzte. Es geht auch um die Modalitäten der Einwilligung durch die Personensorgeberechtigten bei den betroffenen Jungen. Wenn die Frage Beschneidung allein auf den Willen der Kinder abgestellt würde, müsste das gesamte System der elterlichen Sorge fundamental neu geregelt werden, was an sich ja nicht unmöglich ist, aber größerer Anstrengungen in allen gesellschaftspolitischen Bereichen bedarf. Begleitende Maßnahmen wie breit angelegte Aufklärungsarbeit in diversen sozialen Einrichtungen und Strukturen oder Verpflichtung der Eltern, Beratungsgespräche vor dem geplanten Eingriff zu führen, oder die Durchführung nur von Ärzten vorzuschreiben, wären Schritte, die möglichen negativen Folgen von Beschneidungen zu reduzieren.

Mit freundlichen Grüßen

Das Mitarbeiter-Team im Bundestagsbüro

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