Frage an Claudia Roth von Mike H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Roth,
ich gehe einmal davon aus das Sie mir zustimmen wenn ich sage, das in allen EU-Mitgliedsstaaten die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ vom 10. Dezember 1948 uneingeschränkt gelten muss.
Ihre Partei tritt für eine Mitgliedschaft der Türkei in die EU ein, allerdings ist diese nach meinem Kenntnisstand Mitunterzeichner der Kairoer Erklärung der Menschenrechte.
Die Kairoer Erklärung der Menschenrechte weicht von der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in vieler Hinsicht ab, vor allem dadurch, dass sie eindeutig nur diejenigen Rechte anerkennt, welche im Einklang mit der Schari’a stehen.
Wie würde sich hinsichtlich dieser Tatsache überhaupt eine Mitgliedschaft in der EU vereinbaren lassen?
Wie wird auf die Türkei eingewirkt damit sich diese von Kairoer Erklärung der Menschenrechte distanziert?
MFG
M.H.
Sehr geehrter Herr Hanraths,
mag sein, dass die Türkei verschiedene Erklärungen von regionaler Bedeutung unterzeichnet oder sich durch diverse bilaterale Abkommen zu einem bestimmten Verhalten der anderen Seite gegenüber verpflichtet oder bereit erklärt hat. Dies alles hat keine Wirkung auf die Universalität und Verbindlichkeit der internationalen Konventionen, die in jahrelangen Verfahren angenommen und ratifiziert worden sind. Diese stehen über allen gesetzlichen Vorgaben und Normen, die von regionaler und innenpolitischer Bedeutung sind und machen sie damit unwirksam. Die internationalen Menschenrechtspakte werden in vielen muslimischen und auch nicht-muslimischen Ländern nicht als Grundlage einer gemeinsamen und werteorientierten Politik begriffen. Im Falle der muslimischen Länder hat das seinen Niederschlag unter anderem in der Kairoer Erklärung von 1990 gefunden. Neben Faktoren wie Demokratiedefizite und Willkürherrschaften in diesen Ländern spielt dabei auch eine Rolle, dass die betroffenen Länder sehr oft unter der Kolonialisierung und deren menschenrechtlich zweifelhaften, brutalen Methoden gelitten haben. Das darf aber keine Begründung sein, Menschenrechtsverletzungen Jahrzehnte später zu rechtfertigen. Deshalb ist es richtig, die Unvereinbarkeit von Teilen dieser Kairoer Erklärung und der je nach Landesauslegung unterschiedlichen Scharia-Versionen mit dem universellen Anspruch der internationalen Menschenrechtspakte auf die Tagesordnung zu setzen und intensiv darüber zu diskutieren, wenn wir die Menschenrechte als Magna Charta für eine sich globalisierende Welt weiter erhalten wollen.
Die Kairoer Erklärung ist keine Grundlage von Diskussionen über die Kompatibilität ihrer Bestimmungen mit UNO-Konventionen. Eine Gleichsetzung dieser Erklärung mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte beziehungsweise den UNO-Menschenrechtskonventionen verleiht ihr einen formalen Status, den sie nicht besitzt. Sie sind lediglich als „Richtlinie“ von konservativen und zum Teil undemokratischen politischen Systemen gedacht. Deshalb bleiben als rechtsverbindliche Bezugspunkte für die Beurteilung der Entwicklung der Menschenrechtslage in islamisch geprägten Gesellschaften allein die menschenrechtlichen Übereinkommen im Rahmen der UNO, die von einer Mehrzahl islamisch geprägter Staaten ratifiziert worden sind.
Wenn die Türkei die Kairoer Erklärung von 1990 unterzeichnet hat, muss sie trotzdem die Verpflichtungen aus dem Internationalen Pakt über bürgerliche und zivile Rechte verbindlich anerkennen und einhalten. Hinzu kommen zusätzliche Verpflichtungen im Rahmen des EU-Beitrittsprozesses, die regelmäßig in Monitoring-Verfahren kontrolliert und bewertet werden.
Mit freundlichen Grüßen
Das Büro-Team von Claudia Roth